„Die Formel 1 wird immer mehr zur Formel Hollywood“

von Redaktion

SERIE: DIE ZUKUNFT DES SPORTS Ecclestone über die Vernachlässigung der europäischen Wurzeln

Seit 2017 ist Bernie Ecclestone raus aus dem Formel-1-Betrieb – doch als langjähriger Impresario der Motorsport-Königsklasse auch mit heute 92 ein Meinungsmacher.

Herr Ecclestone, haben Sie sich den glamourös präsentierten Großen Preis von Miami angeschaut?

Ja. Ich wusste aber nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Er war ein Witz. Es wurde deutlich, dass die F1-Vermarkter nur noch auf den US-Markt fixiert sind. Die Präsentation ähnelte eher einer Oscar-Verleihung als einem großen Sport-Event, das seine Wurzeln nun mal – anders als Football – in Europa hat. Das konnte man den Reaktionen der meisten Piloten auch deutlich ansehen.

Was meinen Sie genau?

Stolz und Freude, wenn man wie Gladiatoren in eine Arena geführt wird, sehen anders aus. Max Verstappen äußerte sich kritisch, und besonders Fernando Alonso traf des Pudels Kern: Sinngemäß fragte er sich, warum für die US-Fans so viel Aufwand betrieben wird, für Fans in Europa aber weniger. Ob die schlechter wären oder weniger wert? Die Antwort ist: Ja, man tut krampfhaft alles für die US-Anhänger, auf Teufel komm raus. Auch wenn man dabei riskiert, die Wurzeln zu verbrennen.

Folgt die Formel 1 dabei nicht den Gesetzen der Vermarktung? Selbst der Fußball lebt von Investoren aus Arabien und den USA. War Miami nicht der Vorgeschmack einer neuen Formel 1? Weg aus Europa, hin zu den USA und den arabischen Ländern?

Das befürchte ich. Wir haben jetzt schon drei Rennen in den USA, mit Las Vegas am Ende. Vier im arabischen Raum. Da gibt es das meiste Geld zu verdienen. Aber die Frage ist: zu welchem Preis? Oder können Sie sich ernsthaft vorstellen, dass ein Finale der Champions League mal in New York oder Abu Dhabi stattfinden wird? Die DNA des Fußballs liegt nun mal in Europa, bei der Formel 1 ist das nicht anders. Das sollte man nicht ignorieren.

Die F1-Vermarkter sind stolz darauf, endlich erfolgreich in den USA zu sein. Sie brüsten sich mit vollen Zuschauerrängen und großem Interesse auch bei der jüngeren Generation. Woran liegt das?

Erst mal: Was ist Erfolg? Die Netflix-Doku hat natürlich das Interesse in den USA geweckt. Zumindest kurzfristig. Aber um endgültig zu wissen, ob die Vermarkter mit ihrem System der Amerikanisierung Erfolg haben, sollten wir noch mal zwei Jahre abwarten. Sind die neuen Fans in den USA wirklich Fan des Sports – oder nur der sehr nach Hollywood-Gesetzen inszenierten Doku? In einer Doku, bei der erfolglose Teamchefs zum Superstar werden, nur weil sie vor der Kamera anscheinend den Nerv der showorientierten Amerikaner treffen. Was ist aber, wenn sie das Interesse an dem Exotensport aus Europa bald wieder verlieren? Weil sie keinen Fahrer haben, der eine Rolle spielt, und auch kein Team. Und die Europäer dann auch keine Lust mehr haben auf einen Wettbewerb, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren können. Denn in Europa, besonders in Deutschland, scheint das Interesse an der Formel 1 schon jetzt nicht mehr so groß zu sein.

Aber haben Sie nicht mit der totalen Vermarktung diesen Weg eingeleitet?

Jeder weiß, dass ich nichts gegen Geldverdienen hatte und habe. Ich habe da auch nie ein Geheimnis daraus gemacht. Aber es gibt einen Unterschied: In den 60er- und 70er-Jahren haben passionierte Rennfans wie Colin Chapman oder Enzo Ferrari Formel 1 gemacht, um ihre Leidenschaft auszuleben. Typen wie Frank Williams haben sogar ihr Haus verpfändet, um dabei zu sein. Plötzlich merkten wir, dass unser Sport, der damals für die Piloten auch noch extrem gefährlich war, großes Interesse erweckte – auch weltweit. Also baten sie mich, die Vermarktung in die Hand zu nehmen, was ich auch tat.

Wie haben Sie das voran gebracht?

Schlüssel dabei war das Fernsehen, das ich für Übertragungsrechte weltweit viel Geld bezahlen ließ. Aber der Unterschied ist: Unser Sport machte sich selbst interessant. Man musste nichts ändern, um sich bestimmten Märkten anzupassen. Als wir dann feststellten, dass wir auch 20 Rennen statt der üblichen 16 veranstalten konnten, ging ich auf Märkte wie China und Bahrain zu. Aber deshalb wurden keine Rennen in Europa gestrichen. In den USA wollten wir auch Fuß fassen. Aber wir wollten unser Paket so verkaufen, wie es war. Und nichts ändern, nur um dort Erfolg zu haben. Jetzt bin ich gespannt, ob die Formel 1, die immer mehr zur Formel Hollywood wird, auch langfristig angenommen wird. Besonders in Europa.

Interview: Ralf Bach

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