„Als Kapitän darfst du nicht zweifeln“

von Redaktion

Bora-Teamchef Ralph Denk über seine Anfänge, Doping, Bier und Chancen bei der Tour

Ralph Denk befindet sich aktuell in der stressigsten Phase seines Jahres: Vorbereitung auf die Tour de France. Der 49-jährige Teamchef von Bora-hansgrohe nahm sich Zeit, um mit unserer Zeitung über den Einstieg in das Radsportbusiness, den Glauben an seinen Sport trotz Doping und die Chancen bei der Tour zu sprechen.

Ralph Denk, Ihr Buch „Nur alles zählt“ (riva-Verlag) ist erschienen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, im Alter von 49 Jahren Ihr erstes Buch zu veröffentlichen?

Das war nicht meine Idee. Der riva-Verlag ist auf mich zugekommen. Da habe ich erst mal gestaunt: Okay, warum ich? Warum nicht andere Leute, die bekannter sind? (lacht). Aber ihnen hat meine Geschichte wohl gefallen. Der Verlag war unter anderem auf einen ARD-Artikel gestoßen, die Headline war „Vom Bordstein zur Skyline“.

Sie sagen, die Idee, ein Radsportteam zu führen, lag schon seit zwei Jahrzehnten in Ihrer Schublade.

Ich habe als Radhändler parallel ein kleines Mountainbike-Team geführt. Die wirtschaftlichen Komponenten eines Profi-Radsportteams haben mich immer schon sehr interessiert. Ich wollte erst mal alles verstehen. Das Wissen habe ich mir rein gesaugt, das kannst du nicht irgendwo nachlesen. Es geht im Radsport nicht nach Schema F: Wir sind Handwerker und üben jetzt Schwalbenschwänzchen. Man muss hart recherchieren und irgendwann hat sich ein Bild zusammengesetzt, wie der Einstieg klappen würde. Klar war: Du brauchst Sponsoren und Partner, die an dich glauben.

Und war das so einfach?

Das war eine verdammt schwierige Zeit. Damals gab es die schwerwiegendsten Doping-Enthüllungen. Ich bin mir auf der Suche nach Partnern anfangs eine blutige Nase gelaufen. Aber ich habe immer daran geglaubt. Was mir Kraft gegeben hat, waren die vielen Menschen, die trotz des Doping-Sumpfs damals weiter an der Strecke standen. Ich habe das auch an den Absatzzahlen in meinem Geschäft gemerkt, dass die Leute weiter Rad fahren. In Deutschland war in den 80er/90er-Jahren auch mal das Thema Surfen groß. Jeder wollte ein Surfbrett haben – aber das floppte dann schnell. Im Radsport war das anders, die Basis war immer da.

Wieso haben Sie trotz des Dopings weiter an den Radsport geglaubt?

Die Festnahme von Manolo Saiz mit 50 000 Euro und ein paar Blutbeuteln im Rucksack war natürlich ein Negativbeispiel, das hängen geblieben ist. Damals dachte ich mir: Um Gottes Willen. Es haben aber trotzdem weiter seriöse deutsche Unternehmen in den Radsport investiert. Da dachte ich mir, es muss schon Fleisch und Knochen geben. Das hat mich angetriggert.

Im Buch schreiben Sie, der Radsport sei mittlerweile die Sportart mit der höchsten Glaubwürdigkeit, was Doping angeht.

Der Radsport musste viel erklären, warum er so von Doping verseucht war und vor allem auch, wie er sich wieder reinigen will. Da hat der Sport auch viel richtig gemacht. Der erste Sportverband, der einen Blutpass eingeführt hat. Der erste Sportverband, der sich nicht selbst kontrolliert, sondern das in dritte Hand gibt. Der Radsport hat den größten Mist gemacht, war dann aber auch Vorreiter. Wir haben im Radsport von den Kontrollen das engmaschigste System. Die Teams, die Verbände und auch die Sportler geben selbst Geld rein, damit der Profiradsport noch mal mehr Kontrolle bekommt. Das ist ein Novum. Ich glaube, wir sind weiter als alle anderen Sportarten, auch wenn ich natürlich nicht alles Gold malen will. Das Kontrollsystem kann immer noch verbessert werden.

„Nur alles zählt“ – ist das Ihr Motto als Geschäftsmann?

Ich habe alles auf die Karte Sport gesetzt. Erst Skisport, dann Radsport. Ich sehe das heute als Stärke, dass ich gesagt habe „Lass es sein“, als klar war, dass ich nie die Tour de France fahren werde. Verschwende keine Zeit! Wenn du das Top-Level irgendwo nicht erreichst, dann will ich damit auch nichts zu tun haben. Das ist meine Ansicht.

Sie beschreiben, dass Partner Jim McFarlane Sie damals angeschrien hat, warum er „im verschissenen Galicien“ bei der Vuelta ist, obwohl Sie schon früh eine Teilnahme an der Tour de France versprochen haben. Hatten Sie damals keine Angst, als Hochstapler wahrgenommen zu werden?

Ich habe immer fest daran geglaubt. Wenn du ein Ziel in dir infrage stellst, dann merken das auch alle anderen. Ich habe mich schon vor die Mannschaft gestellt und gesagt: Jungs, macht euch keine Sorgen, wir werden überleben und einen neuen Sponsor finden. Dabei war das noch nicht sicher. Das steht in meiner Jobbeschreibung drin. Wenn der Kapitän Zweifel hat, wird die Crew noch viel mehr Zweifel haben.

Ein großer Coup war die Verpflichtung von Peter Sagan 2017. Das Team hat er damals im Tegernseer Braustüberl bei Bier und Haxen kennengelernt.

Wir hatten Peter Sagan zu seinen besten Zeiten. Das hat dem ganzen Team schon unglaublich gutgetan. Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir auch damit liebäugeln, irgendwann wieder so einen Superstar zu haben. Im Moment haben wir eben keinen van Aert, van der Poel oder Pogacar. Aber vielleicht kommt mal wieder einer dazu. Peter hat uns mit seiner Bekanntschaft auch außerhalb des Radsports viele Türen geöffnet. Dafür sind wir immer noch sehr dankbar.

Apropos Bräustüberl, Sie führen im Buch auch aus, dass Sie irritiert davon sind, wie viel Biere manche Radfahrer dann doch trinken können.

Unser Sport ist einer der härtesten, da kannst du nicht regelmäßig Alkohol trinken. Aber manche Radfahrer tun sich schwer mit der Farbe Grau. Der Rennfahrer tut sich nicht schwer, nichts zu trinken. Aber, wenn er mal was trinkt, dann trinkt er auch gerne mal zehn Bier (lacht). Mit ihrem extrem guten Stoffwechsel vertragen sie es natürlich auch gut.

Ein harter Sport, bei dem aber auch immer mehr Fahrer von mentalen Problemen berichten. Ein Feld, für das sie sich auch erst sensibilisieren mussten.

Ich musste das lernen. Ich habe eine mentale Stärke. Die Jungs haben alle eine brutale körperliche Stärke, aber sind mental vielleicht ein Stück weit labiler. Vielleicht will man das gar nicht wahrnehmen, dass Leute, die sich so schinden können, oft bei Kleinigkeiten so starke Gefühle entwickeln. Aber das ist natürlich etwas total Menschliches.

Im Sport erwartet bei Erfolg jeder, dass dieser Erfolg auch wiederholt wird. So wie bei Emanuel Buchmann jeder fragt: Wann kommt der Emu von 2019 wieder. Belastet ihn das?

Natürlich ist das nichts Schönes für ihn. Aber es gibt ja Gründe, warum er die Leistung von 2019 nicht mehr bestätigen konnte. Es gab viele Verletzungen und Krankheiten. Jetzt hoffen wir, dass er endlich mal wieder aufs Fahrwasser kommt, auf dem er über längere Zeit nicht von Stürzen oder Krankheiten heimgesucht wird. Dann kann er auch wieder auf das Niveau von 2019 kommen. Was bei der Kritik an Emu gerne vergessen wird, ist sein 7. Platz letztes Jahr beim Giro d’Italia. Als wichtigster Helfer für unseren Sieger Jai Hindley.

Die Tour startet bald, kribbelt es da schon bei Ihnen?

Auf die Tour freust du dich immer. Hinter der Fußball-WM und Olympia ist es global das drittgrößte Sportereignis. Für mich ist es natürlich im Vorfeld eine sehr stressige Zeit. Die Tour ist der größte Rummelplatz für Sponsoren, für Neuabschlüsse, für den Fahrermarkt. Die Tour ist die Tour. Dort ist alles anders. Du kannst das mit keiner anderen Rundfahrt vergleichen. Was Größeres gibt es nicht.

Geben Sie ein konkretes Ziel für die Gesamtwertung aus?

Etappensiege sind natürlich sehr wichtig für uns. Mit Nils Politt haben wir einen extrem starken Allrounder. Und mei, was die Gesamtwertung angeht: Wir waren schon Vierter, zweimal Fünfter – a Podium, da würde ich mich schon richtig freuen!

Interview: Nico-Marius Schmitz

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