Er will doch nur spielen

von Redaktion

Gravenberch zeigt bei der U21-EM, was in ihm steckt – auch dem Bayern-Spiel würde er guttun

München – Die Spielwerte lesen sich beeindruckend – die Bilder sind es auch. Einen zweiminütigen Zusammenschnitt gibt es vom letzten Auftritt zu sehen, den Ryan Gravenberch mit der niederländischen U21-Nationalmannschaft bei der EM in Rumänien und Georgien hingelegt hat. Und die besten Szenen des 21-Jährigen lassen eine Einordnung irgendwo zwischen Joshua Kimmich und Jamal Musiala zu. Starke Balleroberung, robuste Zweikampfführung, dazu aber präzise Pässe, ein brillantes Auge und eine überragende Spielübersicht: Auf dem Papier stand im zweiten Gruppenspiel zwar nur ein 1:1 gegen Portugal. Aber eben auch: „Man of the match“ Ryan Gravenberch.

Zwei Mal 90 Minuten Spielzeit, das ist die bisherige EM-Bilanz des Mittelfeldmannes, der beim FC Bayern in der gesamten abgelaufenen Spielzeit auf gerade mal 937 Minuten kam. Im Team von Nationaltrainer Erwin van de Looi ist Gravenberch eine feste Größe, im Trikot des FC Bayern bisher nicht mehr als zweite Wahl. Zwar fand er unter Thomas Tuchel deutlich mehr Beachtung als noch unter dessen Vorgänger Julian Nagelsmann, dennoch machte er vor dem EM-Start unmissverständlich klar, was er sich für die Zeit nach dem Turnier wünscht. Gegenüber ESPN sagte er: „„Ich habe allen gesagt, dass ich nicht noch so ein Jahr haben will.“ Bewusst macht Gravenberch Druck auf die Bosse des FC Bayern, die gestern im „Jour Fixe Sport“ zusammenkamen und über diverse Themen sprachen – aber nicht über Gravenberch.

Die Haltung der Transfer-Taskforce ist unverändert. Man will den Niederländer nicht abgeben, sondern aufbauen. Als „unheimlich talentierten Spieler“ bezeichnete ihn Herbert Hainer jüngst und stellte „mehr Spielzeit“ in Aussicht. Warme Worte wie diese aber reichen Gravenberch nach dem enttäuschenden Premierenjahr in München nicht. Er will spielen, und zwar regelmäßig. Seine Enttäuschung – „ich dachte, ich würde mehr Chancen bekommen“ – hat er daher nicht erst einmal öffentlich kundgetan. Auch intern hat er sie angebracht, wohl wissend, dass die Konkurrenz in der kommenden Saison nicht weniger wird. Stand jetzt stehen neben Kimmich und Leon Goretzka Neuzugang Konrad Laimer und Rückkehrer Marcel Sabitzer auf der Position im Mittelfeld-Zentrum. Dazu soll die anvisierte „1a“-Lösung kommen, ein robuster Abräumer, den die Taskforce auf Wunsch von Tuchel nach Informationen weiterhin mit Nachdruck sucht.

Gravenberch beobachtet die Transferbemühungen genau – und er sagt über den Wunsch nach mehr Spielpraxis auch: „Ich hoffe, dass das bei Bayern München möglich ist, sonst müssen wir uns weiter umsehen.“ Interessen – wie etwa Liverpool – gibt es zur Genüge, und es gilt auch nicht als ausgeschlossen, dass die Bayern, wenn der Kader Formen annimmt, gegen Ende des Transferfensters gesprächsbereit wären. Wenn das Gesamtgefüge steht, geht es auch ums Mannschaftsklima.

Der Fall Gravenberch zeigt einmal mehr, wie schwer es ist, junge Spieler ins Bayern-Spiel zu integrieren. Dabei sprechen die Szenen der U21-EM eigentlich für sich. Sieht man Gravenberch da passen und tackeln, muss man nicht mal Mut zum Risiko haben, wenn man ihn bringt. Er würde auch Tuchels Team sehr guttun. H. RAIF, P. KESSLER

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