Donostia-San Sebastian – Im Duell der Brüder war Adam Yates von Anfang an ein kleines bisschen schneller. 26 Sekunden vor seinem Zwilling Simon erblickte er im August 1992 das Licht der Welt, ein erster Etappensieg, sozusagen. Knapp 31 Jahre später war der große Bruder wieder vorne. Mit vier Sekunden Vorsprung ließ Adam dieses Mal Simon hinter sich –und stürmte so am Samstag im packenden „Battle of Brothers“ ins erste Gelbe Trikot der 110. Tour de France.
Der Auftakt der Frankreich-Rundfahrt wurde für die britischen Yates-Brüder im Beisein der Eltern zum Familienmärchen – unabhängig vom Sieger. „Das war eine ganz besondere Erfahrung. Mit seinem Bruder einen Doppelsieg zu feiern ist etwas, das nicht viele von sich behaupten können“, sagte Adam Yates, der im Maillot jaune die zweite Etappe am Sonntag nach Donostia-San Sebastian in Angriff nahm.
Geplant war der denkwürdige Doppelerfolg nicht. Adam ist beim Team UAE Emirates Co-Kapitän und eigentlich wichtigster Helfer des Top-Favoriten Tadej Pogacar. Simon führt das Team Jayco AlUla an Kapitän an, fährt selbst auf Ergebnis und ist so direkter Rivale für die Interessen seines Bruders.
Das Finale des Grand Depart in Bilbao wurde deshalb voll ausgefahren. Das Gelbe Trikot – ein Geschenk an den Bruder? Mitnichten. „Es ist schwierig“, sagte der zweitplatzierte Simon: „Natürlich freue ich mich sehr für ihn, aber ich wollte auch gewinnen. Wir sind ziemlich kompetitiv.“
Leiden wird das Verhältnis deshalb nicht. Die Yates-Brüder sind ein eingeschworenes Gespann. „Wir reden jeden Tag und stehen uns sehr nahe. Diese Erfahrung mit ihm zu teilen, ist wirklich toll“, sagte Adam. Beide haben ihren Lebensmittelpunkt in Andorra, leben dort nur wenige Minuten voneinander entfernt. Über Jahre fuhren sie für dasselbe Team. Im Rennen waren sie meist nur über verschiedenfarbige Brillen auseinanderzuhalten.
Die Liebe zum Radsport entflammte im Kindesalter bei einem Besuch im nahen Velodrom mit ihrem Vater John. Es sollte der Beginn einer Erfolgsgeschichte werden. Die Bergspezialisten Adam und Simon teilen 54 Profisiege unter sich auf. Simon, der 2016 wegen einer fehlenden Ausnahmegenehmigung für ein Asthmamittel für vier Monate gesperrt wurde, gewann die Vuelta in Spanien und feierte mehrere Etappensiege beim Giro und der Tour.
Adams Palmares ist etwas weniger beeindruckend, allerdings trug er bereits vor drei Jahren für vier Tage das Gelbe Trikot. Der Triumph am Samstag war sein erster Etappensieg bei einer Grand Tour. Ob bei der Tour weitere folgen, ist fraglich. Seiner Rolle ist sich Adam Yates bewusst. „Tadej ist er Boss. Er hat gezeigt, dass er der Beste der Welt ist. Ich fahre zu 100 Prozent für ihn“, sagte er.
Das letzte Kräftemessen mit seinem Bruder wird es aber nicht gewesen sein. „Simon“, sagte Adam, „ist in einer großartigen Verfassung. Ich bin sicher, dass er uns in den nächsten Wochen ziemlich auf die Nerven gehen wird.“
Am Sonntag hat denn überraschend Franzose Victor Lafay die zweite Etappe gewonnen. Der Teamkollege von Simon Geschke holte sich nach 208,9 Kilometern von Vitoria-Gasteiz nach San Sebastian den Sieg vor den Stars Wout van Aert und Pogacar. Das Gelbe Trikot des Gesamtersten verteidigte Auftaktsieger Yates erfolgreich. Pogacar sammelte unterdessen mit Platz drei und dem erfolgreichen Bergsprint auf dem Jaizkibel weitere Bonussekunden. Damit hat der Slowene im Duell mit dem dänischen Vorjahressieger Jonas Vingegaard insgesamt schon elf Sekunden herausgeholt. Die deutschen Radprofis spielten bei der Tages-Entscheidung keine Rolle. sid