Novak Djokovics Dominanz

Der Tag wird kommen

von Redaktion

THOMAS JENSEN

Weit. Endlos. Unbegrenzt. Nicht an Platz, aber an Möglichkeiten. Möglichkeiten zu gewinnen. Und zu verlieren. Der Tennisplatz erlaubt so viele Geschichten. Niemals werden alle erzählt werden. Warum dann so fantasielos? Warum glauben so wenige Menschen der Tenniswelt an einen neuen Wimbledon-Champion?

Ja, Novak Djokovic ist der Favorit. Seine Dominanz auf Rasen – der Belag, der Außenseiter am meisten liebt – ist erdrückend. Mit dem Erstrundensieg hat er 29 Spiele auf Rasen in Serie gewonnen, seine letzte Niederlage war vor Wimbledon 2018. Trotzdem sollte man sich dem nächsten Triumph des Ausnahmesportlers nicht so ergeben, wie einem unausweichlichen Schicksal.

Denn zwei Sachen sind gewiss. Erstens: Wie jede Ära wird auch diese einmal enden. Zweitens: Sie wird nicht mit einem Sieg enden. Spieler seiner Größe hören nicht auf, wenn sie noch die Hoffnung haben, weitere große Titel zu holen. Ihre Gier hält sie davon ab. Aber irgendwann treffen sie auf jemanden, der sie stoppt.

Das eint Tennisgrößen mit Hauptdarstellern eines anderen weiten, endlosen Schauplatzes. Mit den Ikonen der Prärie (zumindest der Prärie Hollywoods). Selbst ihre Überfigur wurde am Ende erschossen: John Wayne in seinem letzten Film Der letzte Scharfschütze, in dem er einen alternden Revolverhelden spielt. In früheren Filmen hatten Waynes Figuren, mit ihrer Endlichkeit konfrontiert, oft gesagt: „That‘ll be the day.“ (Der Tag wird kommen). Eine unausweichliche Gewissheit.

Der wilde Westen ist zu weit weg? Okay. Wimbledon 2001, Achtelfinale. Überspieler Pete Sampras auf dem Weg zu seinem achten Wimbledon-Triumph und viertem in Serie. 31 Matches hatte er auf Rasen zuvor hintereinander gewonnen. Niemand hat mehr Grand-Slam-Titel als der US-Amerikaner mit seinen damals 13. Sein Gegner im Achtelfinale: ein 19-Jähriger, aktuell die 15 der Welt, hat bisher erst einen Titel auf der Tour vorzuweisen. Sampras verlor in fünf Sätzen. Dominanz beendet. Sein Weg hatte sich mit dem gekreuzt, der die neue Nummer 1 der Prärie werden sollte. Er war auf Roger Federer getroffen.

Unwahrscheinlich, dass Djokovic dieses Schicksal in den nächsten Tagen widerfährt? Noch unwahrscheinlicher, dass es ihm nie widerfährt. Der Tag wird kommen.

Übrigens: Erst einmal in der Open Era (seit 1968) gewann ein Spieler das letzte Grand-Slam-Turnier seiner Karriere. Pete Sampras bei den US Open 2002.

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