Walchsee/München – Ich schlüpfe in meine Laufschuhe. Atme ein-, zweimal tief durch und will zum abschließenden Halbmarathon starten, da höre ich die deprimierende Durchsage des Moderators – Titelverteidiger und Topfavorit Frederic Funk (25) kommt gerade ins Ziel. Der Lokalmatador hat damit zum dritten Mal hintereinander die Challenge Kaiserwinkl-Walchsee gewonnen. Mir stehen dagegen noch 21 – womöglich leidvolle – Kilometer bevor. „Das ist schon ein bisschen fies jetzt“, raune ich meinen Mitstreitern zu, die wie ich gerade erst die knapp 90 Kilometer auf dem Rad hinter sich gebracht haben. „Er ist aber auch 20 Minuten vor uns gestartet“, witzelt einer zurück. So viel gegenseitige Aufmunterung muss sein. Dementsprechend motiviert gehe ich die vier Runden um den See an. Denn bis zu diesem Zeitpunkt verläuft mein Debüt auf der Triathlon-Mitteldistanz (1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren, 21 km Laufen) ganz ordentlich. Ein paar Stunden zuvor war ich mir da noch nicht so sicher – schließlich bin ich kein Vollprofi wie Funk, sondern ein 37-jähriger Merkur-Reporter, der scheinbar Spaß daran hat, sich in seiner Freizeit zu quälen.
Der vergangene Sonntag beginnt für mich mit dem Wecker-Klingeln um 5.45 Uhr. Wobei ich diese Hilfe nicht gebraucht hätte, ich bin sowieso wach. Die Schlafqualität war erwartungsgemäß überschaubar. Macht aber nichts, denn wichtiger ist die vorletzte Nacht vor dem Start. Mehr als eine Semmel, ein bisschen Bircher Müsli und ein kleines Stück Marmorkuchen bringe ich beim Frühstück nicht herunter. Noch mehr Sorgen macht das Wetter. In der Nacht hat es geregnet, die Straßen sind klatschnass. Und die letzte Hoffnung auf trockene Verhältnisse nimmt mir erneut einsetzender Regen. Na servus!
Klar, im Wasser wird man sowieso nass. Aber Rad-Abfahrten bei 60 oder 70 km/h fühlen sich bei knapp 15 Grad an einem regnerischen Morgen schnell nicht mehr besonders angenehm an. Aber, es hilft ja nichts! Also erst mal rein in den knapp 22 Grad warmen – Neoprenanzug ist also erlaubt – Walchsee. Zusammen mit drei Freunden positioniere ich mich am Ende der zweiten Startgruppe, die eine Zeit zwischen 30 und 35 Minuten anpeilt. Eigentlich etwas zu schnell für uns, aber lieber zieht das Feld vorbei, als dass man selbst ständig überholen muss. Als wir die ersten Kraulzüge machen, steigt Frederic Funk (24:24 Minuten) als siebtbester Profi aus dem Wasser. Meine ersten 500 Meter fühlen sich solide an, allerdings muss ich oft ausweichen, danach komme ich in einen ruhigeren Rhythmus. Beim ersten Wechsel schaue ich ungläubig auf meine Uhr: 32:57 Minuten – für mich eine echte Topzeit, die ich mir auch im Nachgang kaum erklären kann.
Auf dem Rad geht es mit den Überraschungen weiter – in jeder Kurve. Das Streckenprofil kenne ich natürlich grob, aber für eine Besichtigung fehlte schlicht die Zeit. Also bloß nicht zu viel Gas geben auf der ersten 45-km-Runde. Auch mit dem Risiko ist es so eine Sache, denn nach 20 Minuten beginnt es zu schütten. Die Sicht durch die Brillen ist eingeschränkt. Zum Glück trage ich kein Visier, denn die laufen fast komplett an. Während das Wasser von oben platscht und von unten spritzt, denke ich kurz: „Warum tue ich mir das an?“
Zum Glück wird’s schnell besser und auch meine Beine fühlen sich ganz gut an. Das Gemeine im Sattel: natürlich könnte ich schneller fahren, aber wie viel Körner bleiben dann für den Halbmarathon? Also versuche ich in meinen Körper zu hören, denn Wattmesser besitze ich keinen.
Die zweite große Herausforderung: die Ernährung. Man muss essen, bevor man Hunger bekommt. Und man muss mehr essen, als man eigentlich will. Rund 300 Kalorien pro Stunde bei hoher Belastung – das hat nichts mit einer entspannten Brotzeit zu tun.
Ich versuche es mit einem Mix aus Riegel, Gels und Power Gums. Wirklich viel krieg ich nicht rein, aber scheinbar genug, denn der Leistungseinbruch bleibt trotz der 1000 Höhenmeter, die zu überwinden sind, aus. Bei Puls um die 150 (Spitzenwert 173) bringe ich auch die zweite Runde zu Ende. Die Zeit: 2:43:30 Stunden (circa 32 km/h Schnitt). Das geht deutlich besser, aber ich bin damit in etwa im Soll. Mit Abstand am schnellsten auf dem Bike ist Funk (02:00:38), der sich längst an die Spitze gesetzt hat. Vielleicht sollte ich mir doch auch so ein Carbon-Zeitfahr-Monster (5000 Euro aufwärts) zulegen? Die Dichte an sündhaftteuren Zweirädern ist jedenfalls enorm. Mein 2000-Euro-Maschinchen – beim Kauf vor sieben Jahren waren Rad- oder Triathlon-Rennen weit weg – wirkt dagegen fast wie ein Klapprad.
Doch nicht nur das Material ist hochklassig. Als ich auf die Laufstrecke gehe, erkenne ich vor mir Biathlon-Olympiasiegerin Denise Herrmann. Kurz zumindest, denn sie entwischt schnell. Wichtig für mein Ego: die Wahl-Ruhpoldingerin hat noch frische Beine, sie tritt nur in der Staffel von Coach Andi Birnbacher an. Der Ex-Biathlon-Profi hat seine Trainingsgruppe in mehreren Teams für die 13. Ausgabe der Challenge Kaiserwinkl-Walchsee gemeldet. Weil Anna Weidel ausgefallen ist, springt Herrmann (1:28:20) ein und brennt mir im Ziel neun Minuten auf.
„Sie hat ja noch nicht so lange aufgehört und trainiert noch ab“, erklärt Birnbacher. Der Schlechinger hat 2017 in seiner sportlichen Hochphase am Chiemsee selbst einmal eine Mitteldistanz („cooles Erlebnis, aber sauhart“) bestritten – und „um die vier Stunden“ gefinisht. Zu einer Wiederholung kam es nie – dafür zu zwei Rad-Einsätzen in der Roth-Staffel – aber der Triathlon fasziniert ihn nach wie vor. „Ich möchte keine Fachidioten haben. Hier muss man sich mal mit etwas anderem beschäftigen. Alle waren davon begeistert – auch nach dem Rennen noch“, erzählt „Birnei“. Am imponierendsten: die Laufzeit von Johannes Kühn (1:15:41) – ein Durchschnitt von 3:36 Minuten pro Kilometer
Auch ich checke nach der ersten Runde meine Uhr. Im Ziel unter fünf Stunden, das wär’s. Aber es deutet sich früh an, dass das schwierig wird. Zumal mein Magen nur noch bedingt mitspielt. Alle zweieinhalb Kilometer strecken fleißige Helferhände an den Verpflegungsstationen sämtliches Zeug entgegen. Auf den ersten 15 km quetsche ich mir noch zwei Gels rein, obwohl mir schlecht ist. Gegen Ende geht nur noch Cola und Wasser.
Vor der letzten See-Umrundung versucht meine Frau am Streckenrand mich zu motivieren: „Gib noch mal alles, die Zeit ist drin“. Gut gemeint, aber es fehlen Minuten, nicht Sekunden. Meinen anvisierten Kilometerschnitt (4:45 Minuten) ziehe ich gut durch, aber zwanzig Sekunden schneller – da landete man prompt im roten Bereich und übersäuert.
Mit meiner Halbmarathon-Zeit (1:37:48) verfehle ich die 5-Stunden-Marke letztlich um zwei Minuten und 34 Sekunden (5:02:34). In der Gesamtwertung bedeutet das Rang 270 unter 855 gestarteten Männern. Schade, aber verschmerzbar für meine erste Mitteldistanz. Zumal auch ich am Ende irgendwie Erster bin – in der internen Wertung der gestarteten deutschen „Müllers“ (alle nicht mit mir verwandt). Immerhin sieben lasse ich hinter mir. Nur Beat Müller (4:44:24) aus der Schweiz zeigt mir die Grenzen auf. Zumindest für heute. Denn wie sagte schon Paulchen Panther (Wer hat an der Uhr gedreht?): „Heute ist nicht alle Tage. Ich komm wieder, keine Frage.“