„Ich bin gespannt auf die Ergebnisse“

von Redaktion

DFB-Trainerin Voss-Tecklenburg über die WM, das Quartier und Stationen ihres Lebens

München – Martina Voss-Tecklenburg (55) ist seit November 2018 Bundestrainerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Die gebürtige Duisburgerin bestritt selbst 125 Länderspiele, gewann zwischen 1984 und 2000 vier EM-, aber keinen WM-Titel. Bereits mit 25 brachte sie während ihrer aktiven Zeit Tochter Dina zur Welt. Danach war sie mit ihrer Mitspielerin Inka Grings zusammen, die nicht geräuschlose Trennung führte zu ihrem Rauswurf aus dem deutschen Nationalteam vor Olympia 2000. Am 1. Oktober 2009 heiratete sie den Bauunternehmer Hermann Tecklenburg.

Frau Voss-Tecklenburg, erst 1991 gab es die erste Weltmeisterschaft der Frauen. Sie haben an dem Turnier in China als Spielerin teilgenommen, welche Erinnerungen haben Sie?

Nach einer EM, die wir 1989 ja gewonnen hatten, war die erste WM der nächste logische Schritt. Und ein Meilenstein mit vielen positiven Erlebnissen. Bei einem Training saßen auf einmal 6000 Chinesen in einem Stadion, um uns anzufeuern – wir wussten gar nicht, warum sie da waren, aber es war schön. Übrigens war auch Pelé dabei, der sagte, dass die Nummer sieben bei den Deutschen eine gute Spielerin ist. Das war ich (lacht).

1991 wurden Sie Vierter. Vier Jahre später sind Sie in Schweden dann bis ins WM-Finale gekommen …

…und haben dann in einer Wasserschlacht gegen Norwegen verloren, weil ein Schuss von Hege Riise reingerutscht ist (Endstand 0:2, d. Red.). Eigentlich war es mehr Wasserball als Fußball, sodass wir unsere spielerischen Qualitäten nicht einbringen konnte. Ich erinnere mich an diese ersten Turniere wirklich mit einem Lächeln, auch wenn manches vielleicht amateurhaft anmutete.

Nun kommt eine WM 2023 in Australien und Neuseeland, bei der erstmals 32 Nationen mitspielen. Ist der Frauen-Fußball schon so weit?

Das weiß ich auch noch nicht so richtig. Die FIFA ist für die WM 2019 in Frankreich schon auf 24 Teams hochgegangen – ich bin selber gespannt, wie jetzt die Ergebnisse in der Gruppenphase sein werden, weil es ein paar Nationen mit sportlichem Nachholbedarf gibt. Es wird sich zeigen, ob dieser Schritt vielleicht zu früh kommt, denn wir hatten einerseits vor vier Jahren schon heftige Resultate mit einem 13:0. (Weltmeister USA gegen Thailand im ersten Gruppenspiel, d. Red.). Andererseits liegt in einer Teilnahme für jedes Land auch die Chance, eine Entwicklung einzuleiten, um den Frauen- und Mädchenfußball weltweit zu fördern.

Die deutsche Vorrundengruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea scheint eine Wundertüte zu sein.

Auf uns kommen drei komplett unterschiedliche Mannschaften zu, vor denen ich deshalb warne, weil es keine Gegnerinnen sind, die man bei einer WM mal eben so besiegt. Marokko ist Neuling, und dann machen sie gleich das erste Spiel gegen Deutschland, weshalb sie alle Emotionen auf den Platz lassen werden. Dann haben wir Kolumbien: Das ist mit ihrer Zweikampfhärte und Mentalität eine richtig gute Mannschaft, die den offenen Schlagabtausch suchen wird. Und dann haben wir am Ende noch Südkorea. Ein technisch gutes Team mit einem Trainer Colin Bell, der den deutschen Fußball mit allen Facetten gut kennt.

Sie beziehen in Wyong ein abgelegenes Quartier rund 90 Kilometer nördlich von Sydney. Machen Sie nicht denselben Fehler wie die Männer bei der WM in Katar? Die Gefahr des Lagerkollers ist doch nicht zu leugnen, oder?

Ich weiß nicht, ob die Männer schlechte Erfahrungen gemacht haben, ich habe kein Mäuschen spielen dürfen (lacht). Wir haben ein gutes Umfeld, in dem wir uns wohlfühlen. Fakt ist, dass wir am Tag vor jedem Spiel in einem Transferhotel sind – und damit direkt in Großstädten wie Melbourne, Sydney oder Brisbane. Und wir haben ja vorher die Spielerinnen gefragt. Als erste Antwort, was ihnen wichtig ist, kommt immer: ein kurzer Weg zum Trainingsplatz. Das ist die absolute Priorität! Wir haben uns viele Unterkünfte in Hotels mit 500 Zimmern in den Metropolen angesehen, wo es keine Rückzugsorte gab. Und da mussten wir Kompromisse finden. Ich denke, wir haben ein Quartier mit vielen Vorteilen, aber auch einigen Nachteilen. Dieses Team hat doch genau die Stärke, keinen Lagerkoller zu empfinden.

Bei der EM in England spielten die Spielerinnen frei von Erwartungsdruck groß auf. Haben Sie keine Bedenken, dass der Rucksack zu schwer wird, wenn Sie selbst vom Titel sprechen?

Wir wollen mit den Aufgaben wachsen, aber natürlich macht es etwas mit einem, wenn man mehr zu verlieren hat als zu gewinnen. Vor der EM war es ja wirklich so, dass wir schwer einzuschätzen waren. Ich will uns bestimmt kein Alibi geben, aber bei dieser WM melden acht, neun Nationen berechtigte Ansprüche an, um den Titel zu spielen – und diese Qualität haben wir auch.

Der Boom des Frauenfußballs begründet sich auch darauf, dass die Protagonistinnen als überaus authentisch wahrgenommen werden. Sie gehen da als Vorbild voran und lassen in einer NDR-Dokumentation ihren ehemaligen Freund und Trainer vom KBC Duisburg, Jürgen Krust, ihre ehemalige Lebensgefährtin Inka Grings als auch ihren Ehemann Hermann Tecklenburg und ihre Tochter Dina zu Wort kommen. Wollten sie zeigen, dass die Welt bunter ist, als viele denken?

(lacht) Ich habe in diesem ganzen Doku-Prozess gar nicht so sehr darüber nachgedacht, wie das jetzt vielleicht andere sehen. Ich bin halt ein sehr offener Mensch, der mehrheitlich zu dem steht, was er in seinem Leben tut. Ich bin stolz darauf, dass ich sowohl mit Jürgen als auch mit Inka oder heute mit meinem Mann Hermann respektvoll und freundschaftlich umgehe, obwohl wir unterschiedliche Lebenswege gegangen sind. Auch auf diese Menschen kann ich mich jederzeit verlassen, denn wir haben eine Verantwortung übernommen: Jürgen und ich für ein Kind, Inka und ich für andere Dinge und Hermann für ein Unternehmen. Natürlich war es auch mal schwierig, aber wenn die Personen nicht wertvoll wären, hätte ich nicht diese Zeit mit ihnen verbracht.

Diese Offenheit …

… hat sich irgendwie aus der Story ergeben, wofür ich Patrick Halatsch (Filmemacher vom NDR, d. Red.) bei der Umsetzung danken möchte. Natürlich ist die Welt viel bunter – und bei mir gibt es diese Lebenslinien. Ich wollte damit auch zum Ausdruck bringen, dass Türen woanders aufgehen, wenn sie hier vielleicht zugehen. Neben der inneren Stärke braucht es dazu Menschen, die einen auffangen, wenn es einem nicht so gut geht.

Woher kommen diese Werte?

Sie kommen von meiner Familie. Meine Eltern haben Wert darauf gelegt, dass wir ‚danke’ und ‚bitte’ sagen. Sie haben fünf Kinder unter schwierigen Bedingungen großgezogen (der Vater hat bei Thyssen in Wechselschicht gearbeitet, die Mutter neben der Erziehung noch in einem Kindergarten geputzt, d. Red.). Da war Verlässlichkeit gefragt. Jeder ist für den anderen da. Heute möchte ich an meine Familie etwas zurückgeben, weil ich privilegiert bin. Ich kann immer nur wieder sagen: Ich weiß genau, was mir dieser Sport gegeben hat. Ich bin über den Fußball zu einer Persönlichkeit geworden.

Sie sind jetzt schon fünf Jahre Bundestrainerin. Haben Sie darin Ihren Traumjob gefunden?

Ich bin super stolz. In dem, was ich am liebsten mache, nämlich Fußball – darf ich so viel erleben. Erst lange als Spielerin, jetzt als Trainerin. Trotzdem bin ich gut damit gefahren, mir gewisse Dinge offen zu lassen, weil sich Lebenssituationen ganz schnell ändern können. Nehmen wir das Worst-Case-Szenario: Wir scheiden im Achtelfinale bei der WM aus, und die Leute machen sich Gedanken, ob Martina wirklich noch die richtige Bundestrainerin ist. Ich bin nicht naiv, dass es nicht auch in eine andere Richtung gehen kann.

Hansi Flick hat gesagt, der Martina würde er alles zutrauen. Also auch einen Job im Männerfußball.

Ich würde mir immer alles anhören. Völlig klar. Aber ich kann gar nicht sagen, was kommt denn dann, wenn ich 60 bin. Derzeit stehe ich immer noch am liebsten auf dem Trainingsplatz. Vielleicht will ich bestimmte Dinge irgendwann aber gar nicht mehr. Ich habe auch noch ein Privatleben, das mir wichtig ist.

Interview: Frank Hellmann

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