Sekunden-Thriller am Mont Blanc

von Redaktion

Vingegaard und Pogacar liefern sich erneut Schlagabtausch – Ausreißer Poels triumphiert

Saint-Gervais – Am Fuße des gigantischen Mont Blanc lächelte Jonas Vingegaard im Gelben Trikot in die tief stehende Sonne und warf seinen Blumenstrauß schwungvoll ins Publikum. Wieder hatte der Titelverteidiger der Tour de France die Attacke seines Herausforderers Tadej Pogacar pariert, wieder war er dem erneuten Gesamtsieg einen kleinen Schritt nähergekommen. „Diese Duelle, die wir uns liefern, werden jeden Tag besser und besser“, sagte Vingegaard, „ich bin durchaus zufrieden.“

Unaufgeregt, wachsam und mit taktischer Reife konterte der Däne den zweimaligen Tour-Champion Pogacar im finalen Anstieg nach Saint-Gervais. Dass in diesen Tagen auch skeptische (Doping-) Blicke in seinen Richtung geworfen werden, kann Vingegaard nachvollziehen: „Ich verstehe diese Fragen. Ich kann nur sagen: Ich nehme nichts.“

Den Vorteil vor der Schlusswoche hat der Kapitän des Teams Jumbo-Visma auf seiner Seite – doch er ist verschwindend gering. Eine Vorentscheidung im Sekundenkrimi um den Gesamtsieg in Paris ist noch immer nicht gefallen.

Lediglich zehn Sekunden trennen Vingegaard und Pogacar. Der Ausgang des epischen Duells, das seit den Pyrenäen für Spannung und Dramatik sorgt, ist völlig offen. „Natürlich hätte ich gerne einen Vorsprung, aber mit einem Gegner wie Jonas ist das nicht so einfach“, sagte Pogacar, der sich vom einzigen Einzelzeitfahren der Tour am Dienstag viel verspricht: „Dort wird es denke ich größere Abstände geben.“ Vingegaard versprach, „alles raushauen“ zu wollen.

Das taten die Hauptdarsteller der ereignisreichen 110. Frankreich-Rundfahrt auch bei der einzigen Bergankunft in den Alpen. Abermals agierten sie auf Augenhöhe. Am Sonntag rollten die Rivalen Seite an Seite ins Ziel.

Pogacar und Vingegaard hatten sich im Schlussanstieg lange belauert. Einen Kilometer vor dem Ziel ergriff der Slowene, Tour-Sieger von 2020 und 2021, die Initiative, konnte Vingegaard wie zuletzt aber nicht abschütteln.

Im Kampf um den dritten Podestplatz gerät das deutsche Top-Team Bora-hansgrohe mit seinem australischen Kapitän Jai Hindley ins Hintertreffen. Hindley verlor Gesamtrang drei an den erst 22-jährigen Spanier Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers), der am Samstag in Morzine siegte. Der Rückstand wuchs am Sonntag auf 1:17 Minuten.

Der Tagessieger nach 179 km und knapp 4500 Höhenmetern in Saint-Gervais Mont-Blanc kam aus einer Fluchtgruppe. Der Niederländer Wout Poels, bei Bahrain Victorious Teamkollege der deutschen Radprofis Phil Bauhaus und Nikias Arndt, fuhr jubelnd als Solist über die Ziellinie. Zu Beginn des letzten Anstiegs hängte Poels den Belgier Wout van Aert als letzten Kontrahenten ab.

Der Kölner Nils Politt (Bora-hansgrohe) gehörte zwischenzeitlich zur Gruppe der Ausreißer, im steilen Gelände war der Allrounder aber im Nachteil. Dessen Teamkollege Emanuel Buchmann kam in der Schlussphase in einer Abfahrt zu Fall. Der deutsche Meister konnte das Rennen aber fortsetzen.

Einen Tag, nachdem zwei Begleitmotorräder auf der ersten Alpenetappe das Rennen beeinflusst hatten, blieb auch die 15. Etappe nicht frei von äußeren Störfaktoren. Vingegaards Edelhelfer Sepp Kuss blieb bei hohem Tempo am Arm eines unachtsamen Zuschauers hängen, stürzte und räumte dabei auch seinen Teamkollegen Nathan van Hooydonck ab (siehe Kastem unten). Dahinter kamen zahlreiche weitere Fahrer bei dem Massensturz zu Fall.  sid

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