München – Knochen, die brachen, Sehnen, die rissen, Haut, die aufplatzte – in 60 Jahren Bundesliga hat der Kontaktsport Fußball wenig ausgelassen. Es gab Verletzungsfälle, die so offensichtlich schlimm waren, dass sich über die Stadien im Moment des Geschehens die Gewissheit legte: Hier ist gerade eine Karriere zu Ende gegangen.
Wobei die eine Szene, die schlimmer zu sein schien als alle weiteren, in denen ein Spieler zu Schaden kam, nicht zur Invalidität des Betroffenen führte. Der konnte sogar nach vier Wochen dank gutem Heilfleisch wieder spielen – doch mit den Bildern, obwohl fast 42 Jahre alt, kann man Menschen noch heute erschrecken. Am 14. August 1981 wurde der Oberschenkel des Bielefelder Stürmers Ewald Lienen, später eine illustre Trainerfigur im Fußball, über eine Länge von fast 30 Zentimetern aufgeschlitzt, sodass der Muskel sichtbar war – eine anatomische Lektion, auf die das Fernsehpublikum, das alles in Nahaufnahme und Farbe sah, gerne verzichtet hätte.
Der Bremer Verteidiger Norbert Siegmann war mit gestrecktem Bein gegen den heranrauschenden Lienen zu Werke gegangen, seine spitzen Stollen rissen das Fleisch auf. Als Ewald Lienen seiner Wunde gewahr wurde, sprang er auf, rannte zur Bank von Werder Bremen – er glaubte, vom dort sitzenden Trainer Otto Rehhagel die Aufforderung zum harten Einsteigen wahrgenommen zu haben.
Lienen, der langhaarige Revoluzzer, politisch links engagiert (Friedenspartei), Rehhagel, der wertkonservative Autoritäre – der Vorfall hatte diese Metaebene. Auch wenn klar war, dass er mit einer relativ oberflächlichen Fleischwunde – genäht mit 23 Stichen– davongekommen war, ließ Lienen noch vom Krankenbett aus seinen Anwalt Zivilklage wegen Körperverletzung einlegen (die abgewiesen wurde). Das Rückrundenspiel auf der Bielefelder Alm stand natürlich im Zeichen dieser Vorgeschichte, Rehhagel ließ Verteidiger Siegmann aus dem Kader und streifte sich eine kugelsichere Weste über, nachdem Drohungen gegen ihn eingegangen waren. Das SEK stellte ihm Leibwächter zur Seite.
Otto Rehhagel war auch acht Jahre später dabei, als es Ditmar Jakobs schwer erwischte. Allerdings nicht durch ein Foul, sondern einen Unfall. Jakobs, beim Hamburger SV ein hingebungsvoller Innenverteidiger, der sich ein paar Länderspiele und die WM-Teilnahme 1986 erarbeitet hatte, war bereits 36 und hatte sich entschlossen, in ein paar Monaten aufzuhören. In der 14. Minute überlupft der Bremer Wynton Rufer den herauslaufenden HSV-Torhüter Richard Golz, der Ball treibt der Torlinie entgegen, da rauscht Jakobs heran, schlägt ihn weg, landet selbst im Tor, zappelt im Netz – und kann nicht mehr aufstehen. Ein Karabinerhaken, der das Netz fixiert hatte, war aufgegangen und hatte sich vier Zentimeter tief in Jakobs’ Rücken gebohrt. „Ich fühlte das Tornetz an meinem Rücken, aber auch kaltes Metall“, sagte der Abwehrspieler später. Er verlor das Bewusstsein.
21 Minuten dauert die Befreiung. Teamarzt Dr. Gerold Schwarz schneidet den Haken mit einem Skalpell heraus, danach wird Jakobs in einen Krankenwagen gebracht, der hinters Tor gefahren ist. Zunächst ist er optimistisch, bald wieder spielen zu können. Doch die Notoperation im Tor hatte Folgen. „Mehrere Dornfortsätze der Wirbel waren abgeschlagen, wichtige Nerven durchtrennt. Mir blieben die Schmerzen und eine gestörte Motorik.“
Als der für Mainz 05 spielende Kolumbianer Elkin Soto im Mai 2015 auf der Trage vom Platz gebracht wurde, war glasklar: Er wird nie mehr auf hohem Niveau Fußball spielen können. Bei einem Zweikampf mit dem Hamburger Rafael van der Vaart erlitt der 34-Jährige einen Totalschaden im Knie. Vorderes Kreuzband gerissen, hinteres fast durch, Innenband gerissen, Meniskus gerissen, alles, was hätte stabilisieren können, war kaputt, das Kniegelenk verrenkt. „Das Knie war nicht mehr da, wo es hingehört“, befand der Mainzer Manager Christian Heidel. Sotos Vertrag lief aus, doch Heidel bot eine Verlängerung um ein Jahr an. Eine Würdigung von Sotos Verdiensten und seiner Rolle über viele Jahre beim FSV Mainz 05. Soto wurde zweimal operiert und bekam die volle Reha-Unterstützung. Ein Jahr später wurde er für eine allerletzte Minute eingewechselt – die Mitspieler trugen ihn anschließend auf den Schultern. In seiner Heimat konnte der Kolumbianer dann noch unterklassig ein wenig kicken. GÜNTER KLEIN