Combloux – Tadej Pogacar reichte Jonas Vingegaard fair die Hand und gratulierte dem Rivalen im Gelben Trikot. Geschockt und mitgenommen von der eigenen Chancenlosigkeit akzeptierte der Herausforderer die neue Wirklichkeit bei der 110. Tour de France: Die Vorentscheidung ist gefallen. Titelverteidiger Vingegaard greift nach dem zweiten Gesamtsieg bei der Frankreich-Rundfahrt.
„Das war das beste Zeitfahren, das ich je gefahren bin“, sagte der Däne: „Ich bin sehr glücklich über den Sieg. Ich habe nicht erwartet, dass ich so gut sein werde.“
Im Bergzeitfahren der 16. Etappe hatte Vingegaard den zweimaligen Tour-Champion Pogacar demontiert und unerwartet deutlich abgehängt. 1:38 Minuten nahm Etappensieger Vingegaard seinem slowenischen Kontrahenten auf den 22,4 km nach Combloux ab. Fast wäre Pogacar eingeholt worden. Vor der Königsetappe in den Alpen liegt Vingegaard in der Gesamtwertung 1:48 Minuten vor Pogacar. Angesichts der zuletzt gezeigten Ebenbürtigkeit in den Bergen und des Klassenunterschieds im Kampf gegen die Uhr deutet wenig auf eine erfolgreiche Wende hin. „Ich konnte nicht mehr tun. Es war vielleicht nicht mein bester Tag“, sagte Pogacar, der dennoch kämpferisch blieb: „Es gilt, sich zu erholen und weiter zu machen.“ Auch Vingegaard warnte: „Das war es noch nicht. Wir müssen bis zum Ende kämpfen.“
Bester Deutscher wurde Nikias Arndt (Bahrain Victorious/37:19) auf dem 25. Platz. Der deutsche Zeitfahrmeister Nils Politt (Bora-hansgrohe/38:49) hatte auf dem hügeligen Parcours als 68. erwartungsgemäß nichts mit der Entscheidung zu tun.
Dagegen war die Strecke ganz nach dem Geschmack der Superstars. Ihm gefalle das Zeitfahren, hatte Pogacar im Vorfeld gesagt, „es liegt mir sehr gut.“ Auch Vingegaard versicherte: „Ich mag solche kurzen Zeitfahren mit vielen Rhythmuswechseln.“ Am Ruhetag am Montag waren beide Rivalen die Strecke nochmals abgefahren.
Um 16.58 Uhr startete Pogacar als Gesamtzweiter und vorletzter Fahrer, genau zwei Minuten später rollte Vingegaard von der Startrampe: An seinem elften Tag in Gelb wurde der Däne vom Gejagten zum Jäger – und er füllte diese Rolle mit Leben.
Mehr als 600 Höhenmeter lagen zwischen Start und Ziel. Nur zwei Kilometer nach dem Start waren die Kletterkünste auf der giftigen Cote de la Cascade de Couer erstmals gefordert. Die anschließende technische Abfahrt überstanden beide schadlos. Vingegaard, der in den Kurven ins Risiko ging, lag früh auf Siegkurs. An der zweiten Zeitmessung rund sechs Kilometer vor dem Ziel betrug der Vorsprung bereits 31 Sekunden.
Zur Schlüsselstelle wurde die Cote de Domancy, ein kurzer, aber steiler Anstieg der 2. Kategorie kurz vor dem Ziel. Pogacar und sein UAE-Team entschieden sich am Fuße des Anstiegs für einen Wechsel von der Zeitfahr-Maschine auf das leichtere Rennrad für die Berge. Auf etwa fünf Sekunden bemaß UAE-Teamchef Mauro Gianetti den Vorteil der Maßnahme.
Vingegaard dagegen blieb auf dem Spezialrad für das Zeitfahren. Die Wahl erwies sich nicht als nachteilig. „Hol dir die Tour“, funkte der deutsche Sportdirektor Grischa Niermann an Vingegaard. Der Mann in Gelb ließ auf der Straße Taten folgen.