Zur Saison 1989/90 präsentierte Manfred Ommer, der umtriebige Präsident von Aufsteiger FC Homburg, endlich einen Hauptsponsor. Neun Monate habe er gesucht, sagte Ommer, sich 60 Absagen eingehandelt. Mit dieser Erfahrung „rufen Sie nicht mehr bei einem Wald- und Wiesen-Unternehmen an. Es musste etwas Ausgefallenes sein: ein Partner, auf den sich die Presse stürzt und den der DFB ablehnt.“ Hinter dem Coup stand neben der Not also auch Strategie: Sponsor mit einer Zahlung von 200 000 D-Mark wurde die „London Rubber Company“ mit Sitz in Mönchengladbach. Das Produkt, das sie über den FC Homburg bewarb: „London“. Die Kondommarke – bekannt aus Drogeriemärkten und den Automaten auf Herrentoiletten.
Werbung auf Banden und Trikots gehörten 1989 längst zum Fußball, wurden zum Bestandteil der Finanzierung und regten niemand mehr auf. Als Eintracht Braunschweig in den 70er-Jahren mit „Jägermeister“ auf der Trikotbrust losgelegt hatte, wurden in Zeitungsredaktionen die Fotos noch retuschiert oder verzichtete das Fernsehen auf Übertragungen. Gut ein Jahrzehnt waren alle Vereine kommerzialisiert, es stand nur noch die Frage im Raum: Gibt es Werbung, die moralisch nicht vertretbar ist?
An der des FC Homburg jedenfalls nahm der DFB in Person seines stockkonservativen Präsidenten Hermann Neuberger Anstoß. Er untersagte den Schriftzug, verhängte eine Geldstrafe von 100 000 Mark und drohte mit Punktabzug, was Homburgs Trainer Slobodan Cendic erheiternd fand: „Was für Punkte wollen sie uns eigentlich abziehen?“ Der Club aus dem Saarland war ein Bundesligazwerg, 1986 erstmals auf-, 1988 aber wieder abgestiegen. Auch die Saison 1989/90 sollte so enden.
Der FC Homburg musste, wenn er auflief, das „London“ auf der Trikotbrust zunächst mit einem schwarzen Balken überkleben. Aber jeder Fußballinteressierte wusste, was verborgen werden sollte. „Das war unbezahlbare Reklame“, sagte Ommer. Die Medien machten sich lustig über das Regelwerk des DFB („Gummi-Paragraph“), das vor dem Landgericht Frankfurt nicht standhielt. Der FC Homburg durfte schließlich mit sichtbarem „London“ spielen.
Einer, der damals als Mittelfeldspieler dem Homburger Bundesliga-Kader angehörte und zur überschaubaren Anzahl von zehn Einsätzen kam, wurde erst in einer anderen Funktion und Jahrzehnte später zu einer Figur der Liga: Christian Streich, heutiger Trainer des SC Freiburg. Er erläuterte die Kondom-Geschichte zu ihrem 30-jährigen Jubiläum: „Es hat uns damals sehr gewundert. Es war ja längst nicht mehr so, dass über Verhütung nicht gesprochen werden durfte.“ Außerdem: Zu Beginn der 80er-Jahre war die Welt mit der Immunkrankheit Aids konfrontiert worden, und es war klar, dass der Gebrauch von Kondomen einen Schutz vor der Übertragung darstellen konnte. Über Sexualität wurde beim DFB und auch in Teilen der Gesellschaft jedoch nicht offen geredet.
Der Deutsche Fußball-Bund störte sich auch an der Person Manfred Ommer. Ein streitbarer Geist. Er war Leichtathlet, Sprinter, 100 und 200 Meter, Teilnehmer an den Olympischen Spielen 1972 in München. Nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft reiste er ab – als einer von nur zwei deutschen Sportlern. Er fand, man könne nicht heiter zu einem Wettbewerb antreten, wenn Menschen getötet worden waren. 1977 beendete er seine Karriere und verriet, mit Doping-Stimulanzien experimentiert zu haben.
Er wurde dann Unternehmer, Anlageberater, erfand das „Ommer-Modell“, gründete den Fonds DETAG, der von Investoren Geld einsammelte, um Spieler zu kaufen, sie an Vereine gegen eine Leasing-Gebühr zu verleihen und sie im Idealfall mit Gewinn weiterzuverkaufen.
Moderner Sklavenhandel – so lautete ein Vorwurf. Störte Ommer aber nicht. „Schreiben Sie bitte nicht positiv über mich. Das passt nicht ins Bild, das die meisten von mir haben. Ich lebe lieber mit diesem Image als mit dem einer grauen Maus. Mit positiven Geschichten über mich kann ich nichts anfangen. Ich will kein Lieber, Netter sein“, sagte er 1989 in einem Redaktionsgespräch beim kicker. Für das Wohlgefühl war in Homburg der barocke Vorsitzende Udo Geitlinger zuständig.
Manfred Ommer war ein Visionär, der nie richtig ankam. Er prognostizierte, dass Fußball im Jahr 2000 Fernsehsport und nicht mehr auf Zuschauereinnahmen angewiesen sein werde, 1989 bereits schlug er vor, Karl-Heinz Rummenigge, der seine Spielerkarriere kürzlich beendet hatte, sollte eben erst der Liga werden. Er selbst machte nicht die große Karriere im Fußball, investierte dann lieber in Rennpferde. 2021 starb Manfred Ommer an der Parkinson-Krankheit.
GÜNTER KLEIN