„Die WM wird kein Selbstläufer“

von Redaktion

Simone Laudehr wünscht den deutschen Frauen einen Flow – und mehr Anerkennung vom DFB

München – Der Draht nach Australien steht, denn wer mit dem DFB-Team eine WM, eine EM und Olympische Spiele gewonnen hat, ist noch bestens vernetzt. Unsere Zeitung hat vor dem WM-Start mit Simone Laudehr (37) gesprochen.

Frau Laudehr, der Torjubel 2007: Trikot hoch, Sixpack, Sport-BH. Wäre das heute immer noch so eine Sensation?

(lacht) Die Zeiten haben sich geändert – und ich glaube, heute würde man vielleicht auch einfach mal das Trikot ausziehen. Warum auch nicht? Das passt doch zu unserer Zeit! Wir hängen doch alle im Freibad rum, da haben wir einen Bikini an, manche auch nicht. Also muss doch auch ein Sport-BH erlaubt sein – und nicht für Wirbel sorgen.

Auch der letzte WM-Titel ist schon 16 Jahre her …

Aber wir haben nach der WM noch ein bisschen was anderes gewonnen, siehe EM und Olympische Spiele. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum man danach so einen krassen Cut gemacht hat.

Martina Voss-Tecklenburg spricht offensiv vom Titel –ist das der richtige Weg oder zu viel Druck?

Es ist berechtigt. Wenn man bei der EM ins Finale kommt, ist das Ziel auch bei der WM klar. Alle wollen das nochmal erleben. Trotzdem darf man die Augen nicht davor verschließen, dass die Gegner nicht schlafen. Ein Selbstläufer wird das nicht! Mein Minimalziel wäre das Halbfinale. Auch wenn die Vorbereitung ein wenig holprig lief.

Offiziell werden die durchwachsenen Auftritte unter „haben nichts zu bedeuten“ verbucht.

Die Ergebnisse haben auch nichts zu bedeuten. Aber mir war es schon wichtig, mit einer guten Generalprobe in ein Turnier zu gehen. Gelingt das nicht, muss man die Testspiele als Wachrüttler sehen. Den braucht es aber auch – vor allem wenn man gegen Kolumbien spielt, die wirklich nicht schlecht drauf sind.

32 Teams sind am Start, man spricht von sieben, acht Mitfavoriten. Wie sehen Sie die Rollen verteilt?

Der Fokus liegt natürlich auf den großen Teams der Welt, also den USA, Deutschland, Frankreich, Australien, Schweden, auch die Niederlande will ich nicht vergessen. Sie alle sehe ich im Viertelfinale. Dazu aber kommen Mannschaften wie Nigeria, Sambia, Kolumbien, Jamaika – vermeintliche Underdogs, die mit defensiver Laufarbeit punkten.

Ist Marokko ein Gradmesser, ein dankbarer Auftaktgegner?

Gegen Portugal waren sie zuletzt auf Augenhöhe. An einem schlechten Tag kann man gegen Marokko schon verlieren.

Wie schwer wiegen die Ausfälle von Lena Oberdorf und Marina Hegering?

Man verliert Erfahrung, aber man hat auch guten Ersatz. Kathi Henrichs ist in einem Alter, in dem ich sage: Sie muss das Team von hinten führen, viel reden, viel kommunizieren. Davor hat man trotzdem in Sara Däbritz und Melanie Leupolz ein Bomben-Mittelfeld. Ich mache mir gar keine Sorgen.

Im Achtelfinale droht dann schon ein Hammer-Gegner. Haben Sie immer lieber gegen große oder“ kleine“ Gegner gespielt?

Wenn Underdogs sich mit einer 5-4-1-Kette hinten reinstellen, ist es sicher nicht einfacher. Deshalb habe ich immer gesagt: Wenn man einen Flow hat, ist der Gegner egal. Dann wird dich niemand aufhalten können.

Die deutschen Herren sind an vermeintlich kleinen zuletzt oft gescheitert. Tragen die Frauen den Rucksack, die deutsche Fußball-Ehre zu retten?

Für den Frauen-Fußball würde es mich freuen. Aber sind wir doch mal ehrlich: Was ist, wenn sie ins Halbfinale oder Finale kommen – oder wenn sie sogar gewinnen? Ja, was kriegen sie denn dann? Lächerliche 250 000 Euro und einen Händedruck. Danke dafür! Irgendwann sollte man doch auch mal merken, dass derartige Leistungen anders honoriert werden müssen. Das muss ein Geben und Nehmen sein! In Deutschland ist es eher nach dem Motto: Mach mal – dann kriegst du auch was. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Frauen jetzt die Ehre retten sollen. Das haben sie doch schon immer gemacht. Und was ist passiert? Wenig!

Vor der WM gab es zwei Philosophien: Vergleiche mit Männern – oder eben explizit nicht. Was ist besser?

Clubbezogen finde ich es schwierig, Männer und Frauen finanziell auf ein Level zu setzen, das hat wenig Sinn. Wir haben keine Frauen-Lizenzliga, da gibt es keine gleiche Basis. Aber auf Verbandsebene spielen wir doch alle für dasselbe Ziel. Wir spielen für Deutschland, für die Ehre unseres Heimatlandes. Dass man dabei Unterschiede macht – auch im Basketball, im Tennis, in vielen anderen Sportarten –, verstehe ich absolut nicht. Genauso wie ich Frauenquoten nicht verstehe. Wenn es heißt, Frauen müssen in höhere Positionen, sage ich: Nein! Qualität muss in höhere Positionen, egal ob Mann oder Frau. Natürlich kann ich die Gedankengänge nachvollziehen. Die Historie zeigt, dass es Frauen definitiv heute wie damals nicht leicht hatten. Und eine Unfairness entsteht. Aber wir müssen endlich verstehen, dass es um Qualität geht – egal ob Mann oder Frau.

Sie haben alles gewonnen, zehn Jahre lang für den DFB große Turniere gespielt. Mit welchen Lehren für ein perfektes Turnier?

Alles steht und fällt mit dem Teamspirit. Da aber habe ich aktuell ein sehr gutes Gefühl. Jetzt geht es darum, die nötige Mischung aus Gelassenheit und absolutem Fokus zu finden. Jeder muss bis ans Äußerste gehen können, auch wenn es mal richtig wehtut. Glück gehört dann auch noch dazu. Und der Rest kommt von ganz alleine.

Interview: Hanna Raif

Artikel 1 von 11