So schön und so einfach kann Fußball sein – dachte sich gestern vermutlich auch Hansi Flick. Während der Bundestrainer und seine Männer zuletzt ernüchternde Darbietungen in Serie ablieferten, überzeugten die DFB-Frauen beim Auftakt-Kantersieg gegen Marokko mit frischem Offensivfußball und guter Laune. Überbewerten wollte Martina Voss-Tecklenburg die Tor-Parade ihrer Damen nicht – und daran tat sie gut –, aber dennoch ist geschafft, woran es bei den vergangenen Männer-Turnieren meist hakte: ein euphorischer Auftakt.
Was dieser bewirken kann, zeigt ein Blick in die Statistiken. Vergangenes Jahr starteten die Frauen mit einem 4:0 gegen Dänemark in die Europameisterschaft und landeten am Ende im Finale. Und die Herren? 1:2 gegen Japan (WM 2022), 0:1 gegen Frankreich (EM 2021), 0:1 gegen Mexiko (WM 2018) – alle Turniere endeten schmachvoll. Bei der EM 2016 schlug man die Ukraine mit 2:0 und spielte sich immerhin ins Halbfinale. Der WM-Titel 2014 begann mit einem 4:0-Auftakt gegen Portugal.
Was bedeutet das nun für die kommende Tage: Die Stimmung ist erst mal großartig, auch weil viele Spielerinnen zum Einsatz kamen. Zudem sind die Quartier-Diskussionen im Keim erstickt. Dennoch wird Kolumbien am Sonntag ein anderer und deutlich robusterer Gradmesser. Ließen doch die marokkanischen Damen nahezu alles von dem vermissen, was ihre männlichen Kollegen zu einer der Attraktionen bei der Katar-WM gemacht hatte.
Wo wir wieder bei Hansi Flick wären. Der verschaffte sich gestern auf einem Trainer-Kongress ordentlich Luft. „Dreist“ und „unverschämt“ nannte er die Meinung vieler Experten und die negative Berichterstattung der Medien. Und überhaupt, bis zur EM werde man das natürlich alles hinkriegen. Dass sich der 58-Jährige vor seine Mannschaft und sein Team stellt, ist aus seiner Sicht nachzuvollziehen. Dass man nach zwei Siegen in elf Spielen im Jahr 2022 – gegen die Fußball-Großmächte Oman und Peru – nicht meckern darf oder soll hingegen nicht. Fakt ist aber auch, dass Flick noch ein Jahr Zeit hat. Und zur Erinnerung: Die nun zu Recht bejubelten DFB-Damen standen noch vor zwei Wochen nach einer 2:3-Niederlage gegen Sambia ziemlich belämmert da. Sie haben daraus scheinbar die richtigen Schlüsse gezogen. Ob das den Männern auch gelingt?
mathias.mueller@ovb.net