München – Olha Charlan bereut nichts. Der Titel? Weg. Der Gegenwind aus Russland? Enorm. Doch Charlan würde es wieder tun. „Ich weiß nur, dass ich wirklich die richtige Wahl getroffen habe“, sagte die Fechterin aus der Ukraine, die ihrer Gegnerin aus Russland nicht die „blutige Hand“ (O-Ton der Klitschko-Brüder) schütteln wollte und deshalb bei der WM disqualifiziert wurde: „Es gibt etwas Wichtigeres als Medaillen – mein Land, meine Familie.“
Der Skandal von Mailand hat weltweit für Aufsehen gesorgt – und macht dem IOC um Präsident Thomas Bach deutlich: Die Hoffnung auf „normale“ Wettkämpfe zwischen Ukrainern und Russen wird sich kaum erfüllen. Damit droht nicht nur in den Qualifikationen auf dem Weg nach Paris weiteres Chaos, sondern auch bei Olympia selbst – wenn russische Sportler als neutrale Athleten zugelassen werden sollten.
„Wir werden Zeugen des Scherbenhaufens“, den Bach und „seine Gefolgsleute aus dem IOC angerichtet haben“, twitterte Dagmar Freitag, ehemalige Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag.
Immerhin: Am Freitag sicherte Bach der Ukrainerin in einem persönlichen Brief einen Start bei Olympia in Paris zu. „Angesichts deiner besonderen Situation wird dir das Internationale Olympische Komitee einen zusätzlichen Quotenplatz für die Olympischen Spiele Paris 2024 zuweisen, falls du dich in der Zwischenzeit nicht qualifizieren kannst“, schrieb Bach. Und fügte noch ein paar persönliche Worte hinzu: „Als Fechtkollege kann ich mir nicht vorstellen, wie du dich in diesem Moment fühlst. Es ist bewundernswert, wie du diese unglaublich schwierige Situation managst.“
Zudem nahm der Fecht-Weltverband FIE die Suspendierung zurück, Charlan kann somit am Samstag im Teamwettbewerb starten. Auch der Handschlag nach einem Gefecht ist künftig nicht mehr verpflichtend. Charlan, Olympiasiegerin von 2008 und in der Ukraine ohnehin ein Star, wurde für ihre Haltung in der Heimat gefeiert. „Mein Telefon spielt verrückt. Ich habe Unterstützung von so vielen Menschen erhalten – von der Regierung, von Sportlern, von Prominenten und auch von Soldaten an der Front“, sagte die 32-Jährige. Ein Pilot eines Kampfhubschraubers habe ihr ein Video geschickt, er sei „stolz auf mich“, sagte Charlan: „Es rührt mich zu Tränen, weil ich ihnen sehr dankbar bin. Und wenn sie stolz auf mich sind, dann deshalb, weil ich etwas getan habe, das mich einfach sehr glücklich macht.“
Ein Jahr vor Olympia in Paris ist nicht geklärt, ob Sportler aus Russland als „neutrale“ Athleten antreten dürfen, das IOC will zu gegebener Zeit darüber entscheiden. Für die für den Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser kann es in der Frage nur eine Antwort geben. „Russland hat im Moment im internationalen Sport nichts zu suchen. Die Solidarität des Sports muss der Ukraine gelten“, twitterte die SPD-Politikerin. Und: „Zu dieser Situation hätte es nie kommen dürfen“.
Doch es kam, wie es kommen musste. „Wie oft sich dieses Geschehen auf dem Weg nach Paris und bei Olympia dort wiederholen wird?“, fragte die FAZ. Charlan – und viele andere wohl auch – würden es jedenfalls wieder tun: „Meine Botschaft ist: Wir Athleten aus der Ukraine sind bereit, den Russen auf den Sportplätzen gegenüberzutreten, aber wir werden niemals ihre Hände schütteln.“ sid