Brisbane/Wyong – Selbst am Morgen danach steckten Alexandra Popp und Co. noch mittendrin in ihrem WM-Albtraum. Die gescheiterten deutschen Fußballerinnen warteten gerade in der Hotellobby des Marriott Brisbane mit leeren Blicken auf die Busabfahrt, da flimmerte das historische Desaster vom Vortrag noch einmal in voller Länge über den Bildschirm. Die Tränen waren getrocknet, der Schmerz aber saß tief, als sich die DFB-Frauen auf eine Rückreise ins Ungewisse begaben.
Am Samstagmorgen und am Samstagabend geht es auf verschiedenen Flügen zurück nach Deutschland – begleitet von zahlreichen ungeklärten Fragen. Die Zukunft der Bundestrainerin ist offen, der Schaden für den Frauenfußball längst nicht abzusehen.
Daran änderten auch die aufmunternden Botschaften von Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, die tröstende Ansprache der Bundestrainerin nach dem Abendessen oder der Besuch von Familie und Freunden nichts. Das 1:1 (1:1) gegen Südkorea hinterließ bei Svenja Huth („Ich bin wie ohnmächtig“), Lena Oberdorf („Es ist ein bisschen surreal“) und den Teamkolleginnen tiefe Spuren.
Martina Voss-Tecklenburg kündigte eine „konstruktive, sachliche Aufarbeitung“ an. Aus dem Munde von DFB-Präsident Bernd Neuendorf war Ähnliches zu vernehmen: „Ich habe direkt nach dem Spiel gegen Südkorea mit der Bundestrainerin telefoniert. Gemeinsam werden wir diese Enttäuschung aufarbeiten.“ Dann sollte alles auf den Tisch, was den Verantwortungsbereich der 55-Jährigen betrifft. Un auch, warum die bei der EM in England ausgespielte Leichtigkeit sich bei der WM in Australien dermaßen verflüchtigt hat.
Man kommt unweigerlich auch zur Frage, was Birgit Prinz eigentlich gemacht hat, wenn den meisten gegen Südkorea die Knie schlotterten? Die Psychologin muss nicht mit den Medien reden, aber sie hat offenbar auch im Team zu wenig Gehör gefunden. Der Anspruch sollte gleich in der neuen Nations League – Start am 26. September in Bochum gegen Island – darauf ausgerichtet sein, dass sich alle zur besten Leistung und nicht zur besten Stimmung treiben.
Eine Silvia Neid war auch deshalb so erfolgreich, weil sie nie von allen gemocht worden ist. Zuletzt erzeugten die DFB-Frauen eine Kuscheloase mit gehäkeltem Koala. Es muss mehr Reibung rein, insbesondere auch durch die Trainerin, die mit ihren vor der WM fest vergebenen Rollen dafür sorgte, dass der Konkurrenzkampf nie wirklich einer war.
Eine wirkliche Spielidee – außer hohe Bälle auf Alexandra Popp – war nicht zu erkennen. Immer wieder fehlte die Präzision. Vielleicht muss man dann einmal weniger Kängurus gucken und einmal mehr Pässe üben? „Wir haben zweimal ein Ergebnis erzielt, das nicht ausreicht. Dem müssen wir uns stellen – und das in erster Linie in meiner Person“, sagte „MVT“. Ihr Ehemann Hermann Tecklenburg stellte bald klar, dass ein Rücktritt nicht gemeint sein kann: „Martina ist mit Leib und Seele Nationaltrainerin. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie mit dem Gedanken spielt, aufzuhören.“ Ihr Vertrag wurde vom DFB erst kürzlich bis 2025 verlängert.
Alexandra Popp forderte mit Blick auf die Zukunft von Voss-Tecklenburg, dass sich zunächst das Team hinterfragen müsse. Man solle sich „erst mal an die eigene Nase fassen, dann können wir an andere Leute herangehen.“
FRANK HELLMANN mit SID