Schonungslose Fahrt: Stürzen und siegen

von Redaktion

Cross-Champ wird Straßen-Weltmeister

Glasgow – Mathieu van der Poel riss bei voller Fahrt den defekten Verschluss seines Schuhs ab, die Schmerzen am blutenden Knie und an den Schürfwunden unter dem zerfetzten Trikot blendete der Rad-Star aus: Mit enormer Leidenschaft, großem Kämpferherzen und viel Mut ist der Niederländer trotz eines späten Sturzes zum Sieg beim denkwürdigen Straßenrennen der Radsport-WM in Glasgow gefahren. Der amtierende Cross-Weltmeister stürmte am Sonntag nach 271,1 intensiven Kilometern ins Regenbogentrikot und feierte den größten Erfolg der Karriere – 49 Jahre nach der Vize-Weltmeisterschaft seines 2019 verstorbenen Großvaters Raymond Poulidor. Van der Poel ist zudem der erste niederländische Weltmeister seit Joop Zoetemelk (1985).

Van der Poel, in der laufenden Saison bereits Sieger der Klassiker Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix, verwies seinen Dauerrivalen Wout van Aert (Belgien/+ 1:37 Minuten) und den Tour-Zweiten Tadej Pogacar (Slowenien/+ 1:45) auf die Plätze. Die sechs deutschen Starter hatten mit der Entscheidung nichts zu tun.

Nach dem Start in Edinburgh konnten die Fahrer die malerische schottische Landschaft länger als geplant genießen. Ein Klebe-Protest von Umweltaktivisten sorgte nach etwas mehr als 90 Minuten für eine unfreiwillige und fast einstündige Zwangspause. Der französische Ex-Weltmeister Julian Alaphilippe posierte in der Zwischenzeit für ein Selfie, van der Poel hielt Small Talk, andere Fahrer nahmen in Begleitautos Platz. Der Rennen wurde um 12.15 Uhr Ortszeit fortgesetzt. Fünf Personen wurden festgenommen.

Trotz kalter Muskeln setzte sich das Feld nach der Freigabe mit hohem Tempo in Bewegung und erreichte nach rund 120 Kilometern den kniffligen Stadtkurs in Glasgow, der die Fahrer vor große Herausforderungen stellte. Die 14,3 Kilometer lange Runde, die zehn Mal absolviert werden musste, war äußerst kurvenreich und verlangte mit mehreren giftigen Anstiegen Kraft und taktisches Gespür.

Schnell brach Hektik aus, auch wenn der befürchtete Regen erst im Finale einsetzte. Es kam zu ersten Stürzen. Das Fehlen des gewohnten Teamfunks sorgte für zusätzlichen Stress. Das Tempo war hoch – und forderte früh prominente Opfer. Namhafte Fahrer wie Alaphilippe, Jasper Philipsen (Belgien) oder Kasper Asgreen (Dänemark) fielen schon 100 km vor dem Ziel aus der Spitzengruppe. Es entwickelte sich ein schonungsloses Ausscheidungsfahren. Van der Poel, van Aert, Evenepoel, Pogacar – die Stars attackierten einander weit vor dem Ziel.

Der regennasse Asphalt erhöhte das Risiko auf den letzten Runden – und selbst Spezialisten wie van der Poel gerieten in Schwierigkeiten. Nachdem der Niederländer nach einer fulminanten Attacke bereits wie der sichere Sieger aussah, stürzte van der Poel vor der Schlussrunde. Lädiert saß er nach wenigen Sekunden aber wieder auf dem Rad und setzte seine Solofahrt ins Ziel erfolgreich fort.

Vielleicht wird Paul Fietzke auch einmal einen solchen Erfolg feiern. Das deutsche Talent gewann im Straßenrennen der Junioren Silber. Der 17-Jährige musste sich nach anspruchsvollen 127,2 km mit 1:19 Minuten Rückstand nur dem neuen Weltmeister Albert Philipsen aus Dänemark geschlagen geben. Fietzke war lange Teil einer siebenköpfigen Ausreißergruppe.  sid

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