Früher war der deutsche Frauenfußball sicher erfolgreicher, aber längst nicht alles besser. Wenn Silvia Neid eine Weltmeisterschaft unter den Erwartungen coachte – auch das ist tatsächlich vorgekommen – sah die Aufarbeitung ungefähr so aus: Die stoische Bundestrainerin verabschiedete sich in aller Seelenruhe in den Urlaub, als interessiere sie die Schelte eines Bernd Schröder nach der enttäuschenden Heim-WM 2011 oder die Kritik eines Colin Bell nach der unglücklichen Kunstrasen-WM 2015 überhaupt nicht. Sie war auch nicht bereit wie jetzt Martina Voss-Tecklenburg, nach nur wenigen Tagen eine erste Analyse vorzutragen, bei der alle Fehler noch mal auf den Tisch kommen.
Es gab über Neids Verhalten ein bisschen Grummeln, aber im Grunde dachten alle: Diese Trainerin wird schon die richtigen Lehren ziehen. Im stillen Kämmerlein. Tatsächlich sind die nach solchen Rückschlägen erzielten Erfolge – EM-Sieg 2013 und Olympia-Gold 2016 – die bislang letzten Titel deutscher Fußballerinnen. Noch immer leitet Neid die DFB-Abteilung Trendscouting Frauenfußball, aber der Verband hat die 59-Jährige trotzdem nicht nach Australien und Neuseeland reisen lassen, um internationalen Entwicklungen nachzuspüren.
Warum nicht? Neid ist das offizielle Gesicht für die Bewerbung mit den Niederlanden und Belgien um die Frauen-WM 2027. Hier schießt der DFB übrigens gerade das nächste Eigentor. Südafrikas Verbandspräsident Danny Jordan ist seit WM-Start dabei, die FIFA-Funktionäre persönlich zu überzeugen, warum die weltbesten Fußballerinnen in vier Jahren am Kap antreten sollten. DFB-Präsident Bernd Neuendorf hingegen hat seinen WM-Besuch nach dem deutschen Aus gänzlich gestrichen. Gute Lobbyarbeit geht anders. Wenn Neuendorf und Co. nach der WM-Vergabe beim FIFA-Kongress am 17. Mai 2024 in Bangkok lange Gesichter machen, soll bitte niemand sagen, das hat sich nicht abgezeichnet.
Im besten Fall haben es die deutschen Fußballerinnen bis dahin geschafft, ein Ticket für die Olympischen Spiele 2024 zu ergattern. Es gibt für Europa nur noch zwei freie Startplätze, die über die neue Nations League vergeben werden. Los geht’s in wenigen Wochen – und mit Voss-Tecklenburg als Trainerin. Die 55-Jährige hat sich noch eine Chance verdient, indem sie eine selbstkritische Aufarbeitung ankündigte. Aber das Vertrauen muss an Bedingungen geknüpft sein. Wenn auf dem Weg zu Olympia im Herbst kein fußballerischer Fortschritt erkennbar ist, wenn sich die atmosphärischen Störungen ausweiten, dann kann sie als Bundestrainerin das Team nicht nur EM 2025 in der Schweiz führen.
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