Bei der Weltmeisterschaft in Budapest wird Alexandra Burghardt fehlen. Nach den Deutschen Meisterschaften (und dem Titel über 200 m) fiel der Entschluss: Saison beenden, auf den Körper hören und schon mal Schwung für Olympia 2024 nehmen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht die 29-Jährige über Ausdauer in der Karriere, den Umgang mit Schmerzen und einen Kurzfilm in ihrer Heimat Altötting.
Alexandra Burghardt, bei den Deutschen Meisterschaften konnten Sie den Titel gewinnen, den Start für die WM in Budapest nächste Woche haben Sie abgesagt. Können Sie uns den Prozess erklären, der zu dieser Entscheidung geführt hat?
Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich Anfang 2022 schon wieder Probleme mit dem Rücken. Vor Tokio habe ich das gut in den Griff bekommen. Wenn alles läuft, vergisst man oft die Sachen, die gut und wichtig waren, damit es überhaupt läuft. Es fehlt oft auch einfach die Zeit für diese Pflege, weil man von Wettkampf zu Wettkampf eilt. Anfang letzter Saison habe ich mich also nicht gut gefühlt, ich war oft krank, dazu die Muskelverletzungen. Dieses „Immer gerade so fit werden“, war extrem anstrengend. Ich war nie so richtig bei 100 Prozent. Nach München habe ich mir eine Pause genommen, weil ich die Ruhe einfach brauchte. Das Problem ist nicht, dass ich eine große Verletzung habe. Es ist ein Ansteuerungsproblem. Wenn mein Rücken zu viel macht, dann tut er weh. Ich bin dieses Jahr schon wieder mit mehr Schmerzen als vorher in die Vorbereitung gestartet. Ich muss mir jetzt die Zeit nehmen, wie ich es auch vor Tokio gemacht habe, um wieder eine schmerzfreie Vorbereitung zu haben. Ich will in der Olympia-Saison mein volles Potenzial ausschöpfen.
Mit etwas Abstand, fühlt sich die Absage weiter richtig an?
Ich hätte sehr gerne in Budapest auf der Bahn gestanden. Ein tolles Stadion, mal wieder eine internationale Meisterschaft in Europa. Um ehrlich zu sein, macht es auch nur Spaß, wenn man bei 100 Prozent ist. Und nicht bei 95 Prozent rumgurkt. Dann ist man nicht ehrlich zu sich selbst, wenn man immer unzufrieden ist. Und sich etwas abverlangt, was man gerade nicht drauf hat. Weil man aus bekannten Gründen auch im Training immer nur 90, 95 Prozent geben konnte. Ich bin zufrieden und glücklich mit meiner Entscheidung.
Sie sind die Protagonistin im Kurzfilm „Der unendliche Sprint“ (umgesetzt vom Schweizer Laufschuh-Spezialisten On), in dem es um Kindheitsträume und Durchhaltevermögen geht. Wie haben Sie reagiert, als die Anfrage für das Projekt kam?
Ich konnte meinen Ohren erst gar nicht trauen. Es ist ein fiktives Stück, mit vielen Wahrheiten aus meinem Leben. Ich bin stolz, dass ich ein Beispiel sein darf für viele junge Sportlerinnen. Das war schon eine coole Erfahrung. So einen Dreh habe ich auch noch nicht erlebt, mit 30, 40 Menschen am Set. Das war ein ganz neues Level. Ich bin ja kein Profi vor der Kamera. Es war wie im Training, die Experten haben mir gesagt, was ich machen soll, und ich habe versucht, das bestmöglich umzusetzen (lacht).
Was war das für ein Gefühl für die Filmaufnahmen einen Reifen über ein Feld in Altötting zu schieben?
(lacht) Das war besonders cool. Die Orte hatten ja alle einen Bezug zu meinem Leben. Ich konnte der Welt zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Das Feld ist beispielsweise ganz in der Nähe vom Bauernhof meines Onkels.
Es geht auch um die Faszination für den Sport. Bei Ihnen spielen die Olympischen Spiele von Sydney eine große Rolle.
Bei uns zu Hause wurde die Fernsehzeit früher genau ausgewählt. Es hieß immer, Sport und Naturfilme können wir so viel schauen, wie wir wollen (lacht). Bei Olympischen Spielen, egal ob Sommer oder Winter, lief der Fernseher durchgehend. An Sydney 2000 kann ich mich besonders erinnern, das Opera House, die Wettkämpfe im Stadion. Mich hat das damals total begeistert und jetzt bin ich selbst mittendrin.
Haben Sie früh gemerkt, dass Sie schneller laufen können als andere?
In der Grundschule bei Bundesjugendspielen hat man das Talent schon gesehen. Damals bin ich den Jungs immer davon gelaufen. Ich bin zur Leichtathletik gekommen und in der Jugend lief es auch echt gut. Ab 19 hatte ich eher schwierige Jahre mit vielen Verletzungen.
Verletzungen ziehen sich leider über Ihrer Karriere. Was war besonders wichtig dafür, dass Sie diese Rückschläge immer wegstecken konnten?
Mein Umfeld. Mich haben so viele Leute unterstützt, die oft auf mich verzichten und viel für mich machen mussten. Meine Familie, meine Freunde. Ich wollte denen immer etwas zurück geben. Gerade mein Papa hat mich sehr lange und sehr intensiv unterstützt in meiner Karriere. Ihm konnte ich mit Tokio eine riesige Freude machen. Für uns war Tokio der Dank für alles. Ein Ziel meiner Karriere. Ich habe gespürt, dass ich andere berühre und dass sich das hier alles lohnt.
Sie sind Sprinterin und haben in Ihrer Karriere immer wieder viel Ausdauer beweisen müssen.
Ich mache das Ganze jetzt seit über zehn Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Für diese elf Sekunden brauchst du verdammt viel Ausdauer. Man trainiert für elf Sekunden, braucht dafür aber mehrere Monate Vorbereitung. Mentale Stärke ist ein wichtiger Faktor. Es ist nicht so, dass man sie plötzlich hat und dann bleibt man sie auch da. Man muss ständig an der mentalen Stärke arbeiten. Ich habe Menschen an meiner Seite, die mir helfen, stark zu sein und stark zu bleiben.
Sie verbringen viel Zeit Ihres Lebens in Trainingshallen, Hotels und Stadien. Was ist Ihr Ausgleich zum Sport?
Die Familie, mein Mann, mein Hund, das ist mir alles sehr heilig. Ich bin vier, fünf Monate im Jahr hochgerechnet nicht zu Hause. Da tut es mir sehr gut, wenn ich nach Hause komme und alle freuen sich, dass ich wieder da bin. Der Hund freut sich immer, der Mann meistens (lacht). Spaß beiseite, diese Unterstützung hält mir schon sehr den Rücken frei. Manchmal tut es auch gut allein zu sein, wenn ich unterwegs bin. Bei einem Spaziergang etwa. Und ich bin sehr Kaffee-affin. In neuen Städten mache ich es mir immer zur Aufgabe, nette Cafés zu finden.
Zum Schluss noch einmal zurück zum Sportlichen, wie läuft Ihre Reha aktuell?
Nach den Deutschen Meisterschaften habe ich schon Reha-Übungen eingebaut. Zuletzt war ich beim Athlete Peformance Center in Salzburg. Dort wurden interessante Entdeckungen gemacht, welche körperliche Ungereimtheiten ich habe. Reha-Training stellt man sich immer so krass vor, es sind oft einfache banale Aufgaben. Mit dem Kopf lernen, wieder die richtige Muskulatur und die richtigen Bewegungen anzusteuern. Im Herbst ist das Ziel, nicht mehr diese Schmerzen zu haben, um wieder 100 Prozent im Training geben zu können.
Kamen körperliche Ungereimtheiten raus, von denen Sie selbst noch nicht wussten?
Ein paar schon, ein paar nicht. Aber selbst die Dinge, die man weiß, nimmt man oft vielleicht nicht so ernst, bis man es schwarz auf weiß hat. Es ging ja auch immer irgendwie. Trotz der Rückenprobleme durfte ich mich an drei Medaillen beteiligen. Es ist ja nicht so, dass es mit Schmerzen immer ein Totalausfall ist. Es gibt ganz viele von uns im Leistungssport, die täglich von Schmerzen begleitet werden. Man schiebt das dann so lange vor sich her, bis man irgendwann merkt, dass es anders mehr Spaß macht und auch erfolgreicher ist.
Interview: Nico-Marius Schmitz