München – Wenn Boris Becker eines weiß, dann wie man Grand-Slam-Turniere gewinnt. Sechsmal triumphierte der 55-Jährige, darunter auch 1989 bei den US Open, die Ende August in New York beginnen. Alexander Zverev (26) galt wegen seiner Anlagen lange als sein designierter Nachfolger. Ein Olympiasieg (2021) glückte dem Hamburger, dazu zwei Siege bei den ATP-Finals (2018 und 2021). Doch ein Erfolg bei einem der großen vier Turniere fehlt ihm nach wie vor. Ob er das Ziel noch erreichen kann, erklärt Becker nach Zverevs klarer Zweitrundenpleite in Toronto (1:6, 2:6 gegen Fokina) bei uns im Interview.
Herr Becker, hat Alexander Zverev den Moment schon verpasst oder ist ein Grand-Slam-Sieg noch möglich?
Ich sehe das positiv. Er ist mit 26 Jahren noch im besten Tennisalter. Er hatte, was leider oft der Fall ist in einer Sportlerkarriere, eine schwere Verletzung zu überstehen. Aber jetzt ist er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte und hat langsam wieder das Selbstvertrauen, das er braucht, um Masters-Turniere und Grand Slams zu gewinnen. Er ist gerade mitten in diesem Prozess.
Die Konkurrenz schläft aber auch nicht…
Das stimmt, der Sieg ist über die Jahre vielleicht sogar schwieriger geworden. Am Anfang seiner Karriere waren Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal omnipräsent. Dann waren es mit Djokovic und Nadal noch zwei Spieler. Jetzt ist er nur noch Djokovic. Aber die Jüngeren wie Carlos Alcaraz, Holger Rune und Jannik Sinner sind nachgekommen. Auch Medwedew, Rublew und Tsitsipas – also Zverevs Generation selbst – ist noch da. Der Kreis der Favoriten ist größer geworden, aber ich denke, Sascha ist immer noch im Soll und hat die nächsten vier, fünf Jahre, um zumindest einen Grand Slam zu gewinnen.
2017 und 2018 hat Zverev überragende Ergebnisse bei einigen Masters, der zweitwichtigsten Turnierkategorie, geliefert. Dazu das ATP-Final gewonnen. Er war an dem Punkt, an dem die jetzige Nummer eins Alcaraz vor rund einem Jahr auch noch war. Was ist seitdem passiert?
Ich glaube, das entscheidende Spiel war das Finale der US Open 2020 gegen Dominic Thiem. Es stand 5:3 und 30:30. Zverev hat zum Sieg serviert, ihm haben noch zwei Punkte gefehlt und Thiem hatte schon Krämpfe. Im Nachhinein war das das Zünglein an der Waage. Hätte er dieses Match gewonnen, hätte er schon drei, vier andere Grand Slams gewonnen. Das war der Moment, wo er am nächsten dran war. Aber das ist Schicksal, nachher ist man immer schlauer.
Bei den French Open 2022 war er dabei, sich ein episches Halbfinale mit dem späteren Sieger Nadal zu liefern. Dann kam die von ihnen bereits angesprochene Sprunggelenksverletzung, die immer wieder zitiert wird. Aber darf sie nach seinem Comeback Anfang des Jahres immer noch eine Ausrede sein?
Da machen wir als Medien den Fehler, dass wir ihn oft darauf ansprechen. Ich denke nicht, dass es für Sascha noch ein großes Thema ist. Seit die Sandplatzsaison angefangen hat, ist er fit und kann sich gut bewegen. Das Halbfinale von Paris war eine Bestätigung dafür.
Einen echten Topspieler musste er auf dem Weg dorthin nicht besiegen. Gleiches gilt für seinen Turniersieg kürzlich in Hamburg.
Am Rothenbaum ist er auf keinen Top-10-Spieler getroffen, aber auf gute Sandplatzspieler wie den jungen Franzose Arthur Fils, der mir sehr gut gefallen hat. Und als Hamburger lag es ihm sehr am Herzen, sein Heimturnier zu gewinnen. Für sein Selbstverständnis war dieser Sieg enorm wichtig und er wird auch auf Hartplatz Früchte tragen.
Interview: Mathias Müller