Blankes Entsetzen

von Redaktion

0:3 gegen Leipzig lässt Bayern-Coach Tuchel ratlos zurück: „Das Schlechteste, das es gibt“

VON HANNA RAIF UND MANUEL BONKE

München – Es gibt qua Amt und Historie aktuell niemanden, der diese Mannschaft besser kennt als Manuel Neuer und Thomas Müller. Und selbst die beiden Kapitäne hatten irgendwann genug. Ein paar Minuten des ersten Einsatzes von Harry Kane schauten sich die beiden prominenten Tribünengäste noch an, dann war dieser laue Sommerabend für sie vorbei. Beim Stand von 0:3 verabschiedeten sie sich ins Innere der Allianz Arena, weil sie schon gemerkt hatten, was offensichtlich war: dass man mit einem Auftritt wie jenem, den der FC Bayern im Supercup gegen RB Leipzig hingelegt hat, keinen Titel gewinnen kann.

Den beiden war beim Gang durch die Fan-Reihen zumindest noch ein kleines Lächeln über das Gesicht gehuscht – bei allen anderen, die sich nach Mitternacht von dannen machten, konnte man freundliche Gesichtszüge nur noch erahnen. Ja, die Stimmung war nach dieser ersten vergebenen Chance der Saison wahlweise getrübt oder miserabel. Und am allerschlechtesten war sie bei Thomas Tuchel. Das Wort „enttäuscht“ war noch das netteste, das der 49-Jährige in der Fehleranalyse verwendete. Wobei Analyse eigentlich der falsche Ausdruck ist. Denn Tuchel gab mit Blick auf die Gründe für die empfindliche Pleite auch zu: „Ich habe keine Ahnung.“

Man hat den 49-Jährigen in den knapp fünf Monaten seiner Amtszeit schon in allen möglichen Gemütszuständen zwischen Schockverliebtheit und Ratlosigkeit erlebt – so konsterniert wie am Samstag aber noch nicht. Sommer in der Stadt, der erste Einsatz von Harry Kane, bombastische Stimmung in der Arena: Eigentlich war alles bereit gewesen für eine herrliche Titelparty in Rot-Weiß. Weil er mit Blick auf sein Team aber „keine Verbindung zwischen dem Zustand, in dem wir ankommen in einem Spiel, zu dem, was wir abliefern“, herstellen kann, wurde das erste Finale der Saison zur großen Ernüchterung. Dass Matthijs de Ligt von einem „Off-Day“ sprach, passte bestens. Hinten unsortiert, vorne zu unpräzise, dazwischen wenig abgestimmt.

Während die Spieler sich noch in Erklärungen versuchten – Sven Ulreich: „Leipzig hat Leipzig-Dinge gemacht“, Joshua Kimmich: „Wenn wir die Dinger nicht machen, können wir auch nicht rankommen“ –, hatte Tuchel keinen Blick mehr für die Details. Vielmehr beschäftigte sich der Coach mit dem „großen Problem“, das ihn in die Woche des Liga-Starts begleitet. „Es fühlt sich an, als hätten wir vier Wochen gar nichts gemacht“, sagte er – und entschuldigte sich sogar bei seinem neuen Superstar. Auch für Kane, der in 27 Minuten exakt drei Mal am Ball war, sei der Abend „sehr bitter“ gewesen. Bis zum Eröffnungsspiel am Freitag in Bremen gilt es nicht nur, den 100-Millionen-Mann zu integrieren, sondern auch die Blockade zu lösen, die diese Bayern trotz einer zufriedenstellenden Vorbereitung weiterhin hemmt. Tuchel gab zu: „So dauerhaft hatte ich das bisher bei keiner Mannschaft.“ Er fügte an: „Das ist das Schlechteste, das es gibt.“ Und: „Ich bin konsterniert.“

In der Nacht zum Sonntag strahlte der Coach exakt null Prozent Aufbruchsstimmung aus. Von oben wird er noch nicht angezählt, CEO Jan-Christian Dreesen versicherte gestern: „Es gibt keinen Grund, an der Mannschaft zu zweifeln“. Und auch die Spieler wollen „das alles schnell abschütteln“. Kimmich sagte sogar: „In der letzten Saison hätte ich mir sehr, sehr viele Sorgen gemacht. Es ist aber nicht so, dass wir an dieser Niederlage komplett zerbrechen werden.“ Immerhin kennt er das Team – und zwar fast so gut wie Müller und Neuer.

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