Bayerns Pleiten-Auftakt

Keine Zeit für „keine Ahnung“

von Redaktion

HANNA RAIF

Dieser Auftritt in Mainz ist allen, die dabei waren, im Gedächtnis geblieben. Sechs Mal „ich weiß es nicht“, drei Mal „keine Ahnung“ gab der Trainer nach dem 1:3 des FC Bayern im April zu Protokoll, und man nahm ihm diese Aussagen vollkommen ab. Dieses Team, das er da einen guten Monat vorher übernommen hatte, strahlte weder Selbstvertrauen noch Zuversicht aus, hinzu kamen psychische und physische Ermüdung. In diesen Momenten auf dem Podium in seiner alten Heimat konnte man dem 49-Jährigen genaustens dabei zusehen, wie in ihm die Erkenntnis reifte, bis zum Ende der verkorksten Saison 2022/23 nur noch Schadensbegrenzung leisten zu können. Tuchel-Fußball musste noch warten.

Knapp vier Monate sind seit diesen denkwürdigen zwölf Minuten vergangen. Oder um in Ereignissen zu sprechen: Es liegen eine Last-Minute-Meisterschaft, ein dringend notwendiger Urlaub, eine passable Vorbereitung, vier gewonnene Testspiele, drei normale Transfers und die Verpflichtung eines 100-Mio.-Mannes dazwischen. Eine Menge positiver Ereignisse also, die in Summe durchaus das Potenzial hätten, für Aufbruchsstimmung zu sorgen. So dachte auch Tuchel, bis er seine Mannschaft am Samstagabend beim 0:3 (0:2) gegen RB Leipzig gesehen hat. Dass der erste Titel der Saison seit dem Abpfiff der ernüchternden 90 Minuten futsch ist, war da noch das geringere Problem. Das viel größere ist, dass diese Bayern den Coach, der als einer der besten seiner Zunft gilt, noch immer vor Rätsel stellen. Oder er sie?

Wäre Thomas Tuchel nicht Thomas Tuchel – und seine Personalie nicht von der Vorgeschichte des unrühmlichen Rauswurfs von Julian Nagelsmann begleitet –, hätte man die Fakten schon deutlich eher deutlich kritischer beleuchten müssen. Genau sechs Siege aus bisher 13 Pflichtspielen stehen für ihn zu Buche, nahezu jedem Bayern-Trainer wäre diese Bilanz schon lange um die Ohren geflogen. Dass es um Tuchel noch ruhig ist, ist unter dem Stichwort „Schonfrist“ zu verbuchen. Es ist aber nur logisch – und richtig –, dass dieses Argument nun nicht mehr angeführt werden kann.

Alles auf null, so sagte man ja zuletzt gerne im Umkreis der Bayern. Genau das aber muss auch für den Trainer gelten. Denn anders als in Mainz vor vier Monaten war der Zustand der Mannschaft am Samstag ein Resultat der Vorbereitung, die unter seiner Federführung stattfand. Es liegt nun an ihm, den Fehler in seinem System zu finden. „Keine Ahnung“ ist da kein guter Ansatz.

Hanna.Raif@ovb.net

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