Dünnes Eis

von Redaktion

Tuchel muss aufpassen, dass ihm das Team nicht entgleitet

München – Seine Mannschaft stellt Thomas Tuchel (49) vor ein Rätsel. Der Trainer des FC Bayern hatte für das 0:3 im Supercup gegen RB Leipzig keine Erklärung. „Konsterniert, fassungslos, ratlos“, sei er über die Leistung. „Ich habe jetzt keine Lösung“, so Tuchel nach der Fehlleistung, die er als Coach verantwortet. Welche Wendung, denn zu Beginn seiner Amtszeit war Tuchel in seine Mannschaft noch „schockverliebt“ gewesen. Seine bisherige Bilanz nach 13 Pflichtspielen: sechs Siege, fünf Niederlagen, zwei Remis. Im Frust sprach er auch davon, dass 100-Millionen-Euro-Neuzugang Harry Kane (30) ihm leidtäte: „Er denkt wahrscheinlich, wir haben hier vier Wochen nicht trainiert.“

Für Lothar Matthäus (61) ein gefährliches Spiel. Wenn Tuchel nicht aufpasse, „wird er die Kabine nicht so hinter sich bringen, wie es nötig wäre. Das kann schnell gefährlich für ihn werden“, so der Rekordnationalspieler in seiner Sky-Kolumne.

Auch Peter Freiherr von Quernheim sieht dieses Risiko. Der Coach von Führungskräften (u.a. Check24, Dekra, Schörghuber) würde den Spieß aber umdrehen. „Wie viel Mut verlangt es, öffentlich zuzugeben, dass man vor einer Herausforderung steht – und nicht weiß, wie man diese bewältigen soll?“, fragt der Fachmann im Gespräch mit unserer Zeitung und schiebt die Antwort gleich hinterher: „Das ist kein Schrei des eigenen Unvermögens, sondern ein bewundernswerter Schritt in die richtige Richtung!“

Von Quernheim sieht ein „Hierarchie-Problem“ beim Rekordmeister. Dieses Phänomen ist nicht neu. Auch Trainer wie Ancelotti, Kovac oder Nagelsmann sind in den letzten Jahren daran gescheitert. Unsere Zeitung weiß: Tuchel war bereits kurz nach seiner Amtsübernahme Ende März entsetzt darüber, wie wenig Hierarchie in der Mannschaft vorhanden ist. Er arbeitet daran, eine klare Führungsstruktur im Team zu etablieren. „Hier sind nicht die Individualpsychologen, die fast jeder Verein in seinen Diensten hält, gefordert, sondern Spezialisten der Gruppenpsychologie, von denen es nur sehr wenige in Deutschland gibt“, meint von Quernheim.

Dass die Kraft gegen Leipzig fehlte, hat man gesehen. Von außen wirkt es oft, als würde den Spielen die Motivation oder das Engagement fehlten. Wobei das wirkliche Problem „woanders liegen kann“. Geht es nach dem Führungscoach, muss Tuchel Anführer aus Abwehr, Mittelfeld und Angriff bestimmen, die von allen Spielerkollegen akzeptiert werden und gesetzt sind. Diese bis Saisonende permanent mit dem Trainer in Kontakt.

Was Tuchel schon am Freitag zum Liga-Start in Bremen verbessert sehen will: die Positionierung und das Aufbauspiel seiner Stars. Wie unsere Zeitung erfuhr, fordert Tuchel schnelle vertikale Zuspiele aus der Abwehr heraus. Allen voran auch auf den neuen Zielspieler Harry Kane. PHILIPP KESSLER

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