Okinawa – Ganz ausgeruht waren die deutschen Basketballer am Donnerstag nicht. Einen Tag vor dem Start der WM auf den Philippinen, in Japan und in Indonesien wurden sie auf der japanischen Insel Okinawa von einem Raketenalarm geweckt.
„Ich dachte zuerst, dass es an der Tür geklingelt hat. Ich war etwas überrascht“, sagte Bundestrainer Gordon Herbert. Kurz vor 4.00 Uhr hatten die Menschen auf Okinawa eine Warnmeldung auf ihren Handys erhalten, wonach Nordkorea eine Rakete gestartet habe und Schutzräume aufzusuchen seien. Entwarnung kam kurz darauf. Offenbar war Nordkorea bei dem Versuch gescheitert, einen Spionagesatelliten ins All zu schicken.
Dass die deutsche WM-Mission ebenso scheitert, scheint unwahrscheinlich. Erstmalig seit den goldenen Nowitzki-Jahren Anfang der 2000er tritt das DBB-Team mit dem realistischen Anspruch an, unter den besten drei zu landen. An diesem Freitag (14.10 Uhr/Magenta Sport) eröffnet der EM-Dritte von 20222 gegen Japan die WM. Eine Zusammenfassung vorab:
Die Vorbereitung: Es krachte. Der Disput von Kapitän Dennis Schröder und NBA-Spieler Maxi Kleber wurde medial hochgejazzt und hatte das Potenzial, die Mission zu torpedieren. Die Kurzfassung: In lockerer Atmosphäre im Podcast von Journalist Andre Voigt räsonierte Schröder über NBA-Kollege Kleber, der im EM-Jahr abgesagt hatte, kritisierte ihn in seiner direkten Art dafür. Kleber antwortete und zog sich aus dem Nationalteam zurück. Irritierend war das Schweigen des Verbandes, der die Angelegenheit nicht klärte. Doch längst ist die Geschichte nicht mehr als eine Fußnote.
Der Rest der Vorbereitung verlief perfekt. Aus dem WM-Debakel von 2019 haben die Verantwortlichen gelernt und sich diesmal extrastarke Gegner gesucht. Duelle mit den Favoriten USA (91:99) und Kanada (ein Sieg, eine Niederlage) wirkten wie Turnierspiele. Selten hat ein deutsches Team auf solch hohem Niveau agiert.
Der Kader: Die Dichte an der Spitze beeindruckt. Sieben Mann auf internationalem Spitzenniveau führen das Zwölfer-Aufgebot an, nur die USA sind stärker aufgestellt. Kapitän Dennis Schröder reifte über die Jahre zum Wortführer, lernte auch, seinen weniger begabten Nebenleuten zu vertrauen.
Als Co-Star hat sich seit der Europameisterschaft Franz Wagner etabliert, dem eine große Zukunft in der NBA prognostiziert wird. Wagner ist wie Schröder Spielgestalter und Scorer – und somit Deutschlands zweite Turbine. Einziges Manko: Auf den hinteren Kaderplätzen nimmt das Talent ab. Die Topleute werden wenig Zeit zum Ausruhen bekommen.
Die Stärken: Keine Mannschaft ist eingespielter. Bei Amtsantritt forderte Bundestrainer Gordon Herbert seine Mannen auf, sich zum Projekt zu bekennen, setzte früh auf Zusammenhalt. Davon profitiert er heute. Er implementierte Hierarchien und Strukturen. Taktisch bietet er sicher nicht das größte Repertoire im Weltbasketball. Dafür haben die Deutschen ihre Abläufe perfektioniert. Ein großer Vorteil im Vergleich mit den anderen Favoriten.
Die Schwächen: Verglichen mit früher sind das nur kleine Makel. Dem Kader fehlt es ein wenig an Athletik und Größe, um den eigenen Korb zu beschützen. Dazu hängt die Offensive sehr an Dennis Schröder, Franz Wagner und ihren Qualitäten. Fällt einer aus, wird es eng.
Die Gegner: Deutschland erwischte nicht die leichteste Vorrundengruppe. Gastgeber Japan sollte nicht mehr als ein Aufbaugegner sein, hat aber gefährliche Individualisten im Team. Danach wartet mit Australien ein Titelkandidat mit reichlich NBA-Erfahrung. Abschlussgegner Finnland hat mit Lauri Markanen einen NBA-Star aus Utah. Um ihn als Fixstern kreist alles und jeder. Der Einzug in die Zwischenrunde ist für Deutschland Pflicht. Um die Chancen auf die Finalrunde zu erhöhen, sollte das Nationalteam alle drei Partien gewinnen. Die Ergebnisse werden mitgenommen.
Der Ausblick: US-Trainer Steve Kerr führte die Deutschen unlängst als Medaillen-Kandidat auf. Die anderen sind die USA, Australien, Kanada und Spanien. Das Viertelfinale sollte Mindestziel sein, ein Medaillenrang ist realistisch – und nicht mehr unmöglich. ANDREAS MAYR