Julian Reus hält nach wie vor den deutschen Rekord über die 100 Meter mit 10,01 Sekunden. In Budapest ist der 35-Jährige mitverantwortlich für die Betreuung des Sprint-Teams.
Herr Reus, hat es bei Ihnen wieder gekribbelt, als Sie die 100-Meter-Rennen im Stadion gesehen haben?
mIch war immer jemand, der extrem gerne Sprinter war. Ich habe gerne trainiert, war immer bereit für die Wettkämpfe. Aber nach meinem letzten Rennen war das Bedürfnis gar nicht mehr da. Das Gefühl des Kribbelns gibt es nicht, das hätte ich selbst auch gar nicht gedacht. Nichtsdestotrotz verfolge ich die Szene natürlich weiter mit viel Spannung.
Zu Ihrer Zeit hat Usain Bolt die Sprint-Szene über weite Jahre dominiert. Jetzt ist alles viel offener.
Ich finde das super. Ich habe es damals schon gesagt, die Leichtathletik ist mehr als Usain Bolt. Damals war sie sehr auf Usain Bolt fokussiert. Im Sprint gibt es wieder offene Rennen, offene Duelle. Ich glaube, das ist für den Zuschauer sehr interessant. Ich sehe nicht direkt, ob jemand eine 9,6 oder 9,8 läuft. Aber dieses direkte Duell auf der Ziellinie ist doch cool und hat seinen Reiz.
Auffällig waren die Fehlstarts, Gina Lückenkemper sprach davon, dass die Sprinter extrem lange in der Startposition gelassen werden.
Bei einer WM geht es darum, die Umstände anzunehmen. Jede Meisterschaft hat immer ihre eigenen Gesetze. Wenn man das Gefühl hat, es ist etwas anders, muss entsprechend darauf reagieren. Ich glaube, für die Staffeln wird das kein Thema mehr sein. Da sollte es keine Probleme mehr geben.
Wo sehen Sie den deutschen Sprint aktuell?
Im Langsprint haben wir mit Manuel Sanders über die 400 m wieder einen Starter gehabt, der dieses Jahr eine extrem starke und konstante Saison gezeigt hat. Die 4 x 400 m Mixed Staffel hat es ins Finale geschafft, genau wie Joshua Abuaku. Im Langsprint haben wir insgesamt einen guten Schritt nach vorne gemacht. Im Kurzsprint war es schon den letzten Jahren so, dass die Kurve nach oben zeigt. Gina als Europameisterin ist natürlich unvergesslich, auch wenn sie hier ihr Ziel leider verfehlt hat. Bei den Männern haben wir eine sehr hohe Dichte im Bereich 10,10. Das ist auch eine gute Basis für die Staffeln. Sowohl mit den Staffeln über die 100 m als auch 400 m wollen wir ins Finale einziehen.
Sie haben von einer hohen Dichte bei den Männern gesprochen, wann fällt Ihr Rekord denn?
Je früher, desto besser (lacht) Dann steht es um den deutschen Sprint gut. Wir haben einige Jungs, die das Potenzial dazu haben. Ich hoffe, dass es zeitnah passiert.
Worauf kommt es bei der Staffel an, vor allem bei den Wechseln?
Als Ablaufender ist die Spannung und der Druck, wenn der Startschuss fällt, enorm hoch, Es geht darum, den Fokus und die Konzentration auf seine eigene Bahn zu legen. Es kann ja passieren, dass im Umfeld jemand früher oder später losläuft. Du musst immer bei deinem eigenen Rennen bleiben. Man muss sich auf die Ablaufgenauigkeit konzentrieren, was den Marker angeht. Dann wartet man, bis das Kommando angeht, und sobald man den Stab in der Hand hat, geht es ab. Wir haben das trainiert, die Männer sind etwas stabiler, aber auch die Frauen haben die Aufgabe als neues Team gut angenommen. Klar, im Wettkampf kommt dann noch mal mehr Stress hinzu, aber auch darauf können wir die Staffeln vorbereiten.
Gina Lückenkemper hat ihr Ziel verfehlt, auch Joshua Hartmann schien sehr enttäuscht. Wird sich das nicht auf die Staffeln auswirken?
Es ist legitim, dass Joshua jetzt erst mal zu Recht enttäuscht ist und zu Recht analysiert, was er falsch gemacht hat. Aber das ist das Schöne: Wenn man hier mit einer Staffel ist, dann fängt einen das Staffelteam und das Trainerteam auch wieder auf. Ich glaube, dass wir ihn relativ schnell abholen können und ihn auf die Aufgabe am Freitag fokussieren. Gina nimmt die Truppe auch mit und geht voran. Ihre ganze Energie und Dynamik wird sie wieder mit in die Staffel reinnehmen, da mache ich mir gar keine Sorgen.
Interview: Nico-Marius Schmitz