Nun also auch im Stabhochsprung der Frauen: Kurzer Dienstweg, auf beiden Seiten ein Feuer der Gönnerhaftigkeit in den Augen, schließlich ein zustimmendes Nicken – und zack, gibt es zwei Weltmeisterinnen. Die Amerikanerin Katie Moon und die Australierin Nina Kennedy sind bei der Leichtathletik-WM in Budapest dem Vorbild der Olympia-Hochspringer von 2021, Mutaz Barshim aus Katar und Gianmarco Tambieri aus Italien, gefolgt. Sie verständigten sich darauf, nicht in ein Stechen zu gehen, sondern das Gold zu teilen. Es waren in beiden Fällen rührende Szenen.
Natürlich: Es ist auch die gefahrlose Lösung, wenn zwei in einem Wettbewerb im Gleichstand am Ende angelangt sind. Sie teilen sich allenfalls die damit verbundene Prämie, aber nicht den Ruhm, denn den Titel gibt es doppelt, jede(r) ist eine komplette und keine halbe Nummer eins. Wenn diese Option auf dem Tisch liegt, stünde es einer Seite irgendwie auch schlecht zu Gesicht, auf einer Entscheidung über ein Stechen zu bestehen. Die Sympathien des Publikums würden sich wohl der anderen Seite zuneigen. In manchen Disziplinen ist es zudem schwer, zu einer ultimativen Entscheidung zu finden, im (Stab-)Hochsprung müsste auf ein bereits bewältigtes Level zurückgegangen werden – was das schon Geleistete auf eine gewisse Art widerrufen würde. Fühlt sich nicht gut an.
Sport ist Wettkampf, er soll ehrlich sein und den gerechten Sieger ermitteln. Aber er darf dabei auch nicht übertouren. In der Geschichte des Sports hat es einiges an fragwürdigem Beharren gegeben. 1972 bei den Olympischen Spielen in München wurde im 400-Meter-Lagen-Schwimmen der Männer bei aufs Hundertstel gleicher Zeit nach den Tausendsteln gefahndet (und zwei gefunden) – hinterher stellte sich heraus, dass die Bahn des unterlegenen Athleten halt auch ein paar Millimeter kürzer war. Oder das 50-Kilometer-Gehen bei der Leichtathletik-WM 1991. Zwei Russen, Trainingspartner und Freunde, die die komplette Strecke im Einklang marschiert waren, beschlossen spontan, Arm in Arm, Hüfte an Hüfte die Ziellinie zu überschreiten – der Verband wertete das Foto aus, bestimmte einen Ersten und einen Zweiten und triezte denjenigen der beiden, der seine Karriere fortführte (der andere hörte auf), die folgenden Jahre mit Disqualifikationen.
Schön, dass World Athletics nun generöser ist als vor drei Jahrzehnten. Es tut der Welt gut, wenn Menschlichkeit entscheidet und nicht immer Bürokratie. Über Ungerechtigkeitsdellen im Medaillenspiegel möge man einfach hinwegsehen.
Guenter.Klein@ovb.net