Die Zeit der Zocker

von Redaktion

88:85 – Dennis Schröder und Maodo Lo führen deutsches Team bei WM zum Sieg über Australien

VON ANDREAS MAYR

Okinawa – Die Geschichte der Verlierer wollte natürlich niemand hören. Aber sie verriet alles über diesen großen Sieg der deutschen Basketballer, 88:85 über Australien, der die Nationalmannschaft bereits in die WM-Zwischenrunde bugsiert hat. Um sich der Tragweite der Partie bewusst zu werden, musste man nur den Australiern in Richtung Kabine folgen. Einer nach dem anderen deckte die Mixed Zone mit Wortgirlanden jenseits des guten Geschmacks ein. Einige Meter weiter saß Trainer Brian Goorjian vor den Journalisten und erklärte in ungewohnt ehrlicher wie offener Manier, was gerade passiert war. Die Australier hatten sich auf die Größe der Deutschen vorbereitet, auf die Violenz von Daniel Theis und Co. unter dem Korb. Und natürlich auf Dennis Schröders immense Geschwindigkeit. Womit sie nicht rechneten: Mit den irrsinnigen Treffern, die ihnen Maodo Lo (20 Punkte) und Dennis Schröder (30 Zähler), zusammen neun Dreier, einschenkten. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir hier nach dem Spiel sitzen und das der Grund ist, warum wir das Spiel verlieren.“

Zu diesem Sieg, dem zweiten der Deutschen in der Vorrunde der WM, gibt es zwei Handlungsstränge, die am Ende unweigerlich zusammen führen mussten. Der eine erzählt von den beiden großen Individualisten der Deutschen, Dennis Schröder und Maodo Lo. Dazu ein bisschen Hintergrund aus der Werkstatt der Taktikfüchse: Beide Teams tauschen bereitwillig ihre Verteidiger hin und her, lassen es also auch zu, dass die großen Center gegen die kleinen Aufbauspieler ran müssen. Das war ihr beider Plan. Diese moderne Defensivtaktik sorgt für viele Eins-gegen-Eins-Duelle. Gerade in der Endphase schrumpfte dieses knappe Spiel auf die Frage, wer die besseren Zocker hat.

Nun ja, es war Deutschland mit Dennis Schröder und Maodo Lo. Der Berliner Lo erzählt aus seiner Jugend, wie er oft als Kleiner auf dem Freiplatz stand und die besonderen Dribblings übte. Irgendwann habe sich die ganzen Tricks natürlich angefühlt, sagt er. „Ich bin froh, dass das auf dem Niveau gut funktioniert.“ Er hat ja keine leichte Saison in Berlin verlebt, ständig geplagt von Knieschmerzen, die ihm seine Spitzigkeit raubten. Gut nur für ihn, dass Alba früh ausschied und er den längsten Sommer seiner Basketballkarriere genoß.

Kollege Schröder erinnert sich nach der Glanzleistung ebenfalls an seine Ursprünge. „Schon immer“ habe er Spaß daran gehabt, die Riesen zu narren. „Wenn ich den Großen sehe, attackiere ich“, sagt er. Um derlei Szenen zu schulen, hat er seinen persönlichen Coach Keith Thomas dabei. Beide analysieren täglich Schröders Bewegungen am Bildschirm. „Dennis ist egal, wer da vor ihm steht“, sagt Maodo Lo über den Anführer des Nationalteams mit der richtigen Portion Nonchalance. Dass aber auch der Dreier bei beiden so hochprozentig fällt, war nun wirklich nicht zu erwarten. Dank der Distanztreffer ist der Aufbauspieler der Toronto Raptors nun der zweite Deutsche mit 30 Punkten in einem WM-Spiel. Der andere, Dirk Nowitzki, saß in der ersten Reihe und klatschte nach der Partie mit Schröder ab.

Trotz der Gala der Solisten war dieser Sieg im selben Maß einer der Mannschaft und dieses zuhauf beschworenen Geistes, der sie umgibt. In der Früh hatten sie erfahren, dass Franz Wagner, ihr zweiter Star, mit seiner Blessur am Fuß ausfällt. Wie lang, will keiner verraten beim DBB. „Es ist Zeit, dass andere übernehmen“, sagt Maodo Lo dazu. Und die Arbeiter aus dem Off sprangen ein. FCB-Mann Isaac Bonga etwa als verkappter dritter Spielmacher. Oder Daniel Theis, der Schröder der Verteidigung. „Ohne ihn würden wir nicht viele Spiele gewinnen“, sagt Schröder höchst selbst. Am Ende, als Australien die Chance zum Siegtreffer hatte, stellte er sich Patty Mills in den Weg, dem gefürchteten Schützen (21 Punkte). Der wollte nach dem Spiel nicht mehr sprechen. Alles, was von ihm zu hören war: ein lautes „F…“ – und verschwunden war er.

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