Budapest – Nach diesen quälenden 1500 Metern zum Schluss taumelte Leo Neugebauer ins Ziel, ließ sich fallen, die Arme zum Himmel gestreckt. Der Ausnahmeathlet am Boden, vor Erschöpfung und Erleichterung, dass jetzt erst mal alles vorbei ist.
Der zweitbeste Wettkampf seiner noch jungen Karriere, Platz fünf mit 8645 Punkten bei der Weltmeisterschaft. „Ich bin happy, überglücklich“, sagte Neugebauer. Nach dem Zehnkampf habe man das „Gefühl, als käme man vom Krieg zurück.“
Am ersten Tag hatte der Deutsche überragt, war förmlich durch die ersten fünf Disziplinen geflogen und lag auf Gold-Kurs. „Ich dachte mir, Leo geht über 9000 Punkte“, sagte der spätere Sieger Pierce Lepage (8909 Punkte).
Doch der zweite Tag begann holprig und mit schweren Beinen. Erst zuckte Neugebauer zu früh, dann räumte er die ersten drei Hürden unsanft um. „Er ist wie ausgewechselt. Jetzt wirkt er wie gelähmt“, sagte ARD-Experte Frank Busemann.
Auch beim Diskus, eigentliche eine seiner Lieblingsdisziplinen, blieb Neugebauer weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der 23-Jährige zog nur wenige Momente nach dem Wettkampf schon seine Lehren aus dem verpatzten Start, der ihm letztendlich die Medaille kostete. Künftig wolle er nach dem ersten Tag nicht mehr so sehr darauf schauen, was alles passieren kann: „Immer locken bleiben, nicht zu ernst nehmen. Einfach ich bleiben, einfach Spaß haben. Ich lerne davon und werde klüger und weiser ins nächste Jahr gehen.“
Für Neugebauer war es eine extrem wertvolle Erfahrung nach seinem Rekordjahr samt Weltjahresbestleistung auch mal einen Rückschlag zu erleben. Und vor allem: sich aus dem Tief wieder rauszuziehen, und das auf der großen Bühne einer Weltmeisterschaft: „Nach dem Diskus habe ich für mich einen kleinen Neustart gemacht.“ Beim Stabhochsprung kam der Spaß zurück, der College-Student animierte seinen Fanclub zu einer La-Ola-Welle. Da war es auch wieder, das Dauergrinsen. Im Speerwurf folgte mit 57,95 Metern eine neue persönliche Bestleistung, aber die Konkurrenz um Damian Warner (Silber mit 8804 Zählern) und Lindon Victor (Bronze mit 8756 Punkten) war enteilt. Die abschließenden 1500 Meter lief Neugebauer dann so schnell, wie es eben mit knapp zwei Metern und 110 Kilogramm geht.
Für den deutschen Rekordhalter ist jetzt Urlaub angesagt, mit Freunden und Familie geht es an den Plattensee, eine gute Stunde von Budapest entfernt. Und dann, nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland, ruftAmerika wieder. Ein Jahr dauert sein Wirtschaftsstudium in Austin (Texas) noch, in der Zeit wird er sich mit Trainer Jim Garnham auf die Olympischen Spiele in Paris vorbereiten. Die Spiele bedeuten ihm „alles“: „Das hier war wie eine Generalprobe für Olympia. Ich freue mich auf Paris. Dass ich jetzt daran denken kann, um die Medaillen mitzukämpfen, das ist verrückt. Da muss ich erst mal eine Nacht drüber schlafen.“
Nicht nur Lepage sieht in Neugebauer einen „großen Rivalen“ für die kommenden Jahre. Auch Zehnkampf-Legende Zehnkampf-Legende Jürgen Hingsen ist voll des Lobes: „Er wird nächstes Jahr wieder voll angreifen, hat ein hammermäßiges Potenzial.“
Neugebauer hat in Budapest auch abseits der zehn Disziplinen eine Show abgeliefert, hunderte Selfie-Wünsche erfüllt, der deutschen Leichtathletik ein wenig Glanz verliehen. Jetzt noch locker bleiben, und Paris kann kommen.