Im März letzten Jahres floh Yaroslava Mahuchikh aus der ukrainischen Stadt Dnipro. Über 60 Stunden im Auto bis nach Belgrad, dort gewann die Hochspringerin die Hallen-Weltmeisterschaft. Im Sommer folgte Gold bei der Europameisterschaft in München und nun erneut Gold bei der WM in Budapest. Mit gerade einmal 21 Jahren. Für unsere Zeitung nahm sich Mahutschich nach ihrem Erfolg Zeit, um über die Bedeutung der Goldmedaille und ihre Gedanken über Olympische Spiele mit russischer Beteiligung zu sprechen.
Jaroslawa Mahutschich, die Goldmedaille bei der WM haben Sie so herbeigesehnt. Was geht gerade in Ihrem Kopf vor?
Ich bin glücklich, ich kann nicht mehr aufhören zu lächeln. Es ist extrem wichtig für unser Land. Jede Medaille bedeutet aktuell so viel. Jeder Erfolg tut uns gut. Diese Medaille ist für meine ukrainischen Freunde. Für die Leute, die uns unterstützen. Endlich habe ich diese Goldmedaille gewonnen. Ich konnte es erst gar nicht glauben, als ich als Siegerin feststand. Ich musste mich selbst ein bisschen beruhigen, da ich noch weiter springen wollte.
Hoffen Sie, mit dieser Medaille Ihrem Land ein wenig Freunde schenken zu können?
Es ist die erste Goldmedaille seit 24 Jahren für die Ukraine im Hochsprung. Das ist ein wenig Balsam für die Seele unseres Landes, besonders für unsere Soldaten. Ich weiß, dass sie uns unterstützen, anfeuern, dass sie unsere Wettkämpfe anschauen. Sie sind glücklich, wenn wir Erfolge erlangen. Und jetzt habe ich die Goldmedaille um den Hals hängen. Ich bin wirklich glücklich, und auch ein bisschen müde (lacht).
Bei der Medaillenzeremonie haben Sie in ein Meer ukrainischer Flaggen geschaut. Auch Maryna Bech-Romantschuk stand im Publikum.
Das war beeindruckend. Vor ein paar Tagen hat Maryna Silber gewonnen. Es war wirklich fantastisch, das zu sehen. Gestern Nacht hat Uysk geboxt und den WM-Titel gewonnen. Ich habe es gesehen und dachte mir: Jetzt muss ich auch gewinnen. Es war eine große Ehre, da oben zu stehen uns unsere Hymne zu singen. Die Ukraine gibt nicht auf, wir stehen zusammen.
Der Leichtathletik-Weltverband steht klar zur Position, dass russische Sportler nichts im Weltsport zu suchen haben, solange der Angriffskrieg andauert.
Ich bin so dankbar für diese Position. Der Weltverband solidarisiert sich mit uns. Sie verstehen, wie schwer es für uns ist, an Wettkämpfen teilzunehmen. In einer Zeit, in der du nicht zuhause trainieren kannst, in der du nicht zuhause leben kannst, weil es zu gefährlich ist. Oder weil dein Trainingsplatz durch Bomben zerstört wurde. Umso wichtiger ist es, dass wir unser Land bei solchen großen Veranstaltungen weiterhin repräsentieren. Wir sind Botschafter für die Ukraine.
Es ist noch unklar, ob russische Sportler an den Olympischen Spielen in Paris teilnehmen. Was löst das in Ihnen aus?
Ich habe mir schon vorgestellt, wie es wäre, wenn das wirklich passiert, und musste weinen. Es war einfach nur Schmerz in mir. Wenn ich mir vorstelle, dass russische Sportler in Paris teilnehmen, muss ich an unsere zerstörten Städte denken. An die vielen Menschen, die für unsere Freiheit gestorben sind. An Freunde, Familie, Sportler. Wir müssen so einen hohen Preis bezahlen, und da soll es unfair sein, wenn russische Sportler nicht teilnehmen dürfen? Wir haben so viele Sportler in der Ukraine, die ihre Karriere beendet und an die Front gegangen sind. Das werden wir nie vergessen. Wir werden uns immer an unsere Helden erinnern. Aber ich bin mir sicher, dass wir unser Land neu aufbauen werden. Eine freundliche Nation mit einer guten Wirtschaft, es wird alles wieder gut werden. Daran glaube ich.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Ist es sicher genug für Sie, in Ihre Heimatstadt zu reisen, um die Medaille der Familie zu präsentieren?
Sicher ist das niemals. In unserer Stadt gibt es viele Explosionen. Am Tag der Unabhängigkeit gab es eine Explosion an einer Bushaltestelle, zum Glück in der Nacht. Sie können sich vorstellen, wie tragisch es ausgegangen wäre, wenn die Explosion tagsüber stattgefunden hätte. Meine Mutter und meine Schwester werden die Goldmedaille mit in die Ukraine nehmen. Zu meinem Vater. Er hat darauf so lange gewartet. Ich habe noch ein paar Starts, danach will ich für einen Monat zurück in die Ukraine. Es gibt dort keine Sicherheit für mich, aber es ist mein zuhause. Und zuhause ist es immer am besten. Anfang Januar war ich auch schon zwei Wochen da. Ich freue mich darauf, meinen Vater wieder in den Arm zu nehmen. Und ihm die Goldmedaille noch mal persönlich zeigen. Ich bin mir sicher, er ist sehr stolz auf mich.
Interview: Nico-Marius Schmitz