München – Der Countdown läuft. Am Freitag um 18 Uhr schließt das Transferfenster in der Bundesliga. Bis dahin haben die Vereine die Möglichkeit, Spieler zu verpflichten und abzugeben. Der sogenannte Deadline Day ist ein Spektakel für Fußball-Fans, das Transfer-Finale ist aber gleichzeitig auch eine hektische Phase für Vereine und Berater. Michael Reschke (65) kennt beide Seiten des Geschäfts. Er war jahrelang als Bundesliga-Manager (Leverkusen, FC Bayern, Stuttgart, Schalke) mittendrin und ist aktuell auch als Head of European Football der mächtigen Berater-Agentur CAA Stellar involviert. Das Interview.
Wie hektisch ist das Vereinsleben am sogenannten Deadline Day?
Dieser Tag birgt Brisanz für alle, die involviert sind. Berater, Club-Manager, Sekretärinnen, Trainer, die Medien-Verantwortlichen und natürlich allen voran die betroffenen Spieler – alle sind in Hab-Acht-Stellung.
Als Bundesliga-Manager haben Sie am letzten Tag des Transferfenster bereits einige Deals gemacht. Wie kann man sich das vorstellen?
Es herrscht viel Hektik und Spannung. Man muss extrem aufmerksam sein, damit keine Fehler passieren – bei Vertragswerken, den Zahlen, der Umsetzung von Alternativlösungen, da sind viele Themen zu bedenken. Trainer, CEO, Sportvorstand, Finanzvorstand und die Scoutingabteilung sind permanent im Austausch. Es geht um sehr wichtige sportliche und wirtschaftliche Entscheidungen.
Klingt nach einer Extremsituation.
So ist es – und zwar für alle Beteiligten. Es gilt zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen. Man muss schnell reagieren, und der Entscheidungsdruck kann dabei sehr hoch werden. Wenn ein wirtschaftlich extrem interessantes Angebot für einen transferwilligen Spieler reinkommt, dann muss man innerhalb kürzester Zeit sinnvolle Alternativlösungen umsetzen können. Und im Idealfall mit der Alternativ-Wunschlösung, seinem Berater und seinem bisherigen Verein schon Vorgespräche geführt haben oder zumindest ein Vertrauensverhältnis besitzen, dass Verhandlungen zielführend schnell ablaufen können. Der Deadline Day ist schon eine Achterbahnfahrt, das außergewöhnliches Format hat. Ist ja auch schon mal passiert, dass ein Fax zwei Minuten zu spät kam . . .
Hand aufs Herz: Sehnt man als Beteiligter das Ende dieses Tages herbei?
Aber so was von! Meistens schließt das Transferfenster um 18 Uhr. Bis dahin muss der Großteil der Dokumente bei der Liga eingereicht sein. Und es gibt Risiken: Bei einem Last-Minute-Wechsel kann der Medizin-Check meist erst nachträglich stattfinden. Und wenn dabei wider Erwarten ein Problem analysiert wird, kann der Transfer trotzdem nicht rückgängig gemacht werden. Das verbieten die Regularien. Es ist eine Frage des Naturells und der Erfahrung, wie man solche Situationen und den Tag managt.
Wie laufen die Tage vor dem Deadline Day ab?
Die sind sehr intensiv und lang. Permanent kann es extreme Veränderungen auf dem Markt geben. Wegen Verletzungen, unerwarteten Verkäufen oder weil man eine bedeutsame Kaderlücke noch nicht schließen konnte. Und das Zeitfenster, in dem man agieren kann, wird immer kleiner. Anspannung und Entscheidungsdruck wachsen. Täglich werden neue Szenarien durchgespielt. Durch eine hohe Transfereinnahme ist beispielsweise der Transfer eines Spielers möglich, den man schon vorher verpflichten wollte, aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht konnte. Dieser Spieler ist aber vielleicht gerade kurz vor dem Vertragsabschluss mit einem anderen Club. Es kann zugehen wie in einem aufgeregten Taubenschlag. Solch ein Transfer-Finale fordert permanentes Umdenken. Nehmen wir die Bayern als Beispiel.
Bitte.
Was tut sich bei den Münchnern im Mittelfeld? Bleibt Gravenberch oder nicht? Wenn er wechselt: Per Leihe oder Verkauf? Nutzt man daraus resultierende Einnahmen und die Gehaltsersparnis, um vielleicht den Tuchel-Wunsch nach einer zusätzlichen Sechs zu erfüllen? Was bedeutet dies für Kimmich, Goretzka und Laimer, was für die gesamte Balance im Kader?
Die Vereine der Spieler, die bei Bayern im Gespräch sind, wissen, dass dort Geld zu holen wäre.
Es wäre dann jedem klar: Geld ist vorhanden, und der Positionsbedarf ist groß. Dadurch werden mögliche Ablösen nicht geringer. Grundsätzlich sind die Bayern aber in einer starken Position und werden kein Geschenkpaket schnüren und nur verkaufen, wenn man interessante Alternativen umsetzen kann und zudem wirtschaftlich oder sportlich profitiert. Dreesen, Hoeneß, Rummenigge und Neppe sind erfahrene Dealmaker und kennen das Geschäft aus dem Effeff. Sicher ist eines, die Köpfe werden rauchen, und natürlich hat auch Thomas Tuchel klare Vorstellungen.
Gibt es noch einen Last-Minute-Mega-Transfer?
Ich glaube, dass noch Unvorhergesehenes passiert, es wirtschaftliche Megadeals und mächtig Bewegung geben wird. Mit Saudi-Arabien gibt es einen neuen, lukrativen und sehr reizvollen Markt. Bei den Saudis geht die Transferperiode noch weitere drei Wochen, und das kann für mächtig Unruhe sorgen. Sollte ein saudi-arabischer Verein noch an einem europäischen Topstar interessier und bereit sein, extrem zu investieren, wird es speziell. Bis zum 1 September könnte der abgebende Club zumindest noch reagieren, danach geht dies nicht mehr, und Topclubs werden keinen wichtigen Profi mehr ziehen lassen. Ich bin mir sicher: Die nächsten Tage wird es noch das ein oder andere Mal kräftig knallen.
Interview: Philipp Kessler