Mönchengladbach – Für eine kurze, eine ganz kurze Zeit waren die Sorgen vergessen. Höchstpersönlich stand Thomas Tuchel am Samstagabend in den Katakomben des Gladbacher Stadions und klatschte seine Bayern ab. Die Musik in der Kabine wurde schon laut gedreht, als Thomas Müller beim Gang vom Feld noch ein freudiges „Europapokaaaaal“ anstimmte. Ja, dieses kurz vor Schluss gedrehte 2:1 (0:1) beim Angstgegner hätte durchaus das Potenzial gehabt, emotional lange nachzuwirken. Wäre da nur nicht der Tag zuvor gewesen, der den dritten Sieg im dritten Saisonspiel komplett überstrahlte.
„Für den Moment“ sei der „versöhnt“, gab der Trainer zu Protokoll, nachdem Leroy Sané (58.) und Mathys Tel (87.) die frühe Gladbacher Führung durch Itakura (30.) zu Gunsten des Serien-Meisters gedreht hatten. Die Kommentare zum Geschehen auf dem Platz, wo die Bayern tatsächlich zum ersten Mal seit viereinhalb Jahren gewonnen hatten, waren aber schnell abgehakt. Von einem „verdienten Sieg“, der „gutgetan hat“, sprach Zweifach-Vorbereiter Joshua Kimmich. Thomas Müller sah den Erfolg als „Lohn für den Aufwand, den wir betrieben haben“. Nicht immer glanzvoll, aber dominant war der Auftritt, „heute war schon Vieles gut“, sagte Leon Goretzka. Eine passende Zusammenfassung, aber damit genug. Denn all das, was bis 24 Stunden vor dem Anpfiff passiert war, musste ja auch noch verarbeitet werden.
Am leichtesten war da die Gefühlswelt von Tuchel zu durchblicken. Die Wortwahl des 50-Jährigen reichte mit Blick auf den am Freitag geplatzten Transfer seines Wunsch-Sechsers Joao Palhinha (und diverser Kandidaten für die Abwehr) von „ungläubig“ bis „super schade“, sein Gesicht sprach Bände. Denn wie kompliziert diese Hinrunde mit dem zwar in Teilen hochklassigen, aber quantitativ extrem dünnen Kader werden dürfte, wurde bereits in der ersten Partie nach Transferschluss deutlich. Weil Noussair Mazraoui früh mit Gelb verwarnt war, musste der gelernte Mittelfeld-Mann Konrad Laimer nach der Pause rechts hinten ran, während Abwehrkante Matthijs des Ligt später für das Mittelfeld kam. Ein Team mit gerade mal sechs gelernten Abwehrspielern sei „nicht wunschgemäß“, „auf Kante genäht“ und „schon etwas mutig“. Sätze, die vor allem an die Transfer-Taskforce gerichtet waren, der im Wahnsinn des „Deadline Days“ die Zeit davon gerannt war. Der Tag, an dem der nach diversen Abgängen dezimierte Kader komplett werden sollte, wurde zum Schlamassel. Klassisch verzockt.
Schuldzuweisungen gab es öffentlich nicht, hinter den Kulissen aber wurden nicht nur warme Worte gewechselt. Tuchel ist mehr als verstimmt, die Spieler denken sich ihren Teil – und die Chefetage macht klare Ansagen. Am Sky-Mikrofon sagte Jan-Christian Dreesen schon vor der Partie: „Ich finde immer noch, dass unser Kader erstklassig besetzt ist.“ Und er fügte einen Satz hinterher, der nachhallen dürfte: „Tuchel muss jetzt etwas kreativer sein. Das ist sein Job.“
Der Blick geht da vor allem auf die Jugendspieler im Kader. Dreesen erinnerte aus gutem Grund daran, „dass wir oftmals in diesen Situationen bei Verletzungen auch schon große Talente hervorgebracht haben.“ Und auch Thomas Müller betonte: „Wenn du gute Spieler aus dem Campus hast, schadet es nicht, wenn du sie auch bringen kannst.“ Bis zum Winter braucht man nun „Glück“ (Tuchel) – und dann „gibt es ja wieder eine Transferperiode“, sagte Kimmich. Nach dem Rückspiel gegen Gladbach soll Palhinha mitjubeln. Und noch ein paar andere.