Zwischen Zoff und Show

von Redaktion

DBB-Team mausert sich zum Titelkandidat

VON ANDREAS MAYR

Okinawa – Der letzte Tag in Japan war gleichzeitig der längste. Bis weit nach Mitternacht mussten sich die deutschen Basketballer gedulden, um ihren Gegner im Viertelfinale zu erfahren. Der Weltverband FIBA hatte die Entscheidungsspiele der Zwischenrunde den Abend über gestaffelt, wohlwissend um die Irrationalität dieser Duelle. Und was sich da für bizarre Szenen abspielten zwischen Jakarta und Manila. Die Amerikaner verloren sensationell ihr erstes Spiel (gegen Litauen), die hoch gehandelten Spanier flogen gleich ganz aus dem Turnier. Mit einem mal verwandelte sich der Weg der Deutschen zum Titel vom Trampelpfad in einen kniffligen Hindernisparcours. Sie treffen zunächst am Mittwoch aufs Überraschungsteam Lettland (siehe unten). Danach könnten die Amerikaner warten. Anspruchsvoller geht es kaum.

Aber wen muss diese Nationalmannschaft fürchten? Spätestens nach dem 100:71-Triumph über Slowenien führt der Weltmeistertitel über Deutschland. Selbst Luka Doncic, der Defensivreihen rund um den Globus tyrannisiert, schaffte es nicht, die Deutschen, diese Einheit, zu schlagen. Was sie mit dem Superstar und seinen Slowenen anstellten, glich einer Demontage. Wenn auch erst nach der Halbzeit. Zuvor hatte Doncic die Deutschen und ihr Mannschaftsgefüge aufs Härteste getestet.

In einer Auszeit nach sechs Minuten, als die Slowenen davon gezogen waren, fingen die Fernsehkameras eine Auseinandersetzung zwischen Dennis Schröder und Daniel Theis ein. Bundestrainer Gordon Herbert ging dazwischen, packte seinen Star an der Schulter und forderte ihn auf, sich zu setzen. Schröder widersetzte sich – und Herbert wechselte ihn aus. Hinterher waren alle Beteiligten bemüht, die Szene ins Positive umzudeuten. „In einer Familie gibt es Reibungspunkte. Wir sind alle Brüder. Das ist direkt geklärt worden“, gab etwa Andreas Obst zu Protokoll. Schröder selbst erklärte, dass er strategisch vorgegangen sei, seinen Kollegen bewusst kitzeln wollte. „Als Kinder haben wir das gleiche gemacht. Manchmal musst du ihn ärgern.“ Beide kennen sich seit Jugendjahren in Braunschweig. Bundestrainer Herbert betonte, er wolle die Sache intern klären.

Unbestritten war der Effekt des kleinen Zoffs. Er setzte immense Kräfte frei. Zuvorderst bei den beiden Streithähnen, die fortan auf dem Feld wieder ein Traumtandem formten. Ihr Zusammenspiel filetierte die Verteidigung der Slowenen. Eine große Schwäche ist deren fehlende Physis. Bis auf den eingebürgerten Mike Tobey agiert kein Center auf Top-Niveau, und selbst der hatte keine Chance gegen den brachialen Theis. Mal um Mal hämmerte der den Ball via Alley-oop in den Korb. Die Flugstunden von Okinawa rissen Löcher in den Teamgeist der Slowenen, auf die Deutschen wirkten sie wie Brandbeschleuniger. Sie pirschten sich heran, gingen vor der Halbzeit erstmals in Führung und plötzlich fingen sie alle an zu treffen: Andreas Obst, Moritz Wagner, Niels Giffey, wieder landeten 15 Dreier im Ziel. Der Vorsprung wuchs und wuchs, im dritten Viertel führte Deutschland erstmals mit 20 Punkten Vorsprung. Über allen schwebte Dennis Schröder mit 24 Punkten und zehn Vorlagen.

Und der große Luka Doncic. Wie fängt man dieses Biest ein? An dieser Frage scheitern regelmäßig die klügsten Köpfe. Die Deutschen wählten die Taktik, die als die zuverlässigste gilt. Sie gingen ihn hart an, sie tauschten die Gegenspieler durch und sie kontrollierten sämtliche andere Slowenen. Mit jedem Fehlpass, jedem Fehlwurf der Kollegen wuchs seine Ungeduld. Irgendwann zerbröselte dieses Team – und Doncic verlor seinen Schrecken. „Das Wichtigste ist, nicht die Fassung zu verlieren“, sagte Isaac Bonga, Doncic’ Hauptbewacher.

Auch wenn Deutschland im Turnier ungeschlagen bleibt, ist das die Lehre. Zum zweiten Mal leistete man sich einen grauseligen Start und kämpfte sich zurück. Das kann nun schief gehen.

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