Der Werkzeugkoffer, den alle lieben

von Redaktion

BASKETBALL Isaac Bonga beweist auch bei der Weltmeisterschaft wieder seine Vielseitigkeit

VON ANDREAS MAYR

Manila – Das Mantra ihrer Mission wiederholen sie, so oft es geht. „One, two, three, family“ schreien die deutschen Basketballer, wann immer sie zusammen kommen. Nach dem Training, vor dem Spiel, bei jedem Sieg. Sie sind nicht bloß eine Zweckgemeinschaft aus Sportlern, nein, sie haben sich verschworen. Voriges Jahr, als sie sich zur EM aufmachten. Seitdem nennen sich alle „Brüder“.

Die deutschen Basketballer – eine Bande von Brüdern, so inszenieren sie sich, daraus ziehen sie ihre Antriebskraft für diese WM. „Egal was passiert: Wir bleiben zusammen“, sagt Isaac Bonga. Wie das in einer so großen Patchwork-Familie ist, hat jeder seine Aufgabe. Dennis Schröder, der große Bruder, geht voran, die anderen folgen. „Sie lassen mich führen“, sagte Schröder nach dem Triumph über Slowenien.

Und dann ist da Isaac Bonga. Der coole Bruder. Der mit den angesagten Klamotten, den improvisierten Tanzmoves vor jeder Partie, der guten Laune, die ansteckt. Die Amerikaner haben dafür das Wort „Swag“ erfunden, das sich nicht richtig übersetzen lässt, aber so viel bedeutet wie: sehr, sehr cool. Einen wie Isaac Bonga möchte man alleine schon deshalb im Team haben, weil er eine Mannschaft mit seiner Art und Aura anhebt.

In München, beim FC Bayern, wird man keinen finden, der diesen 2,03 Meter großen Aufbauspieler nicht mag. Und das ist noch untertrieben: Sie lieben ihn. Das hat natürlich genauso mit seinen Fähigkeiten als Basketballer zu tun. Der Frankfurter – erst 23 Jahre alt – ist ein Hybrid, ein Werkzeugkoffer in Menschenform, an dem sich eine Mannschaft bedienen kann, wenn es nicht läuft. Er kann Passen, Springen, Dunken, Spurten und – am wichtigsten – Verteidigen, alles auf Weltniveau. In einer idealen Welt hätten die Deutschen trotzdem nie so oft in ihre Rettungsbox gegriffen. Isaac Bonga war eingeplant als Vertreter des NBA-Stars, Franz Wagner, das größte Talent im deutschen Basketball.

Wegen Wagner schrieben die Experten das Nationalteam zum Medaillenkandidaten hoch. Franz Wagner hat in diesem Turnier 26 Minuten und 36 Sekunden Basketball gespielt. Im Auftaktspiel gegen Japan verletzte er sich am Knöchel. Mancher sah die Träume dahin schmelzen. Doch die Bruderschaft war vorbereitet – sie hat ja Isaac Bonga. Für einen 23-Jährigen hat der Mann viel erlebt. 2018 wählten ihn die Los Angeles Lakers in der Talentziehung. Vier Jahre versuchte er sich in der NBA – und prinzipiell wäre er auch einer für die Liga der Außerirdischen gewesen.

Sein Körper ist geschaffen dafür, 2,03 Meter hoch, lange Arme, überdurchschnittliche Athletik. Nur eine Zutat, die einfach unabdinglich ist, um dort zu bestehen, fehlte ihm: ein zielsicherer Wurf.

An dieser Stelle zurück zur WM, weil die gerade wieder eindrucksvoll veranschaulicht, welch Gravitation dieses Teamgefüge auf den Einzelnen ausübt. In Okinawa, Japan, traf Bonga 40 Prozent seiner Dreipunktewürfe in fünf Spielen. Das ist magische Marke im Basketball, alles darüber rechnet man zur gehobenen Weltklasse. Er habe nicht wirklich etwas verändert, sagt Bonga. Da ist nur das Vertrauen der Kollegen und des Trainers: „Sie sagen, dass ich immer weiter werfen soll.“

So wirft Bonga und wirft, ohne an die Fehlwürfe zu denken. In Gedanken ist er jetzt Scharfschütze. Natürlich hat er’s hier auch leichter als im Vereinsbasketball. Deutschlands Traumduo aus Schröder und Daniel Theis reißt so viele Lücken, Bonga (bisher 10 Punkte im Schnitt) steht oft frei. „Das fällt mir ziemlich stark auf. Für mich ist das einfacher“, sagt er vor dem Viertelfinale gegen Lettland am Mittwoch (10.45 Uhr). „Das ist etwas Großes für den deutschen Basketball.“

Wie er das sagt, sieht man im Hintergrund Franz Wagner auf den Korb werfen. Der NBA-Mann steht kurz vor der Rückkehr. Aber das kümmert Isaac Bonga nicht. Er wird treu zurücktreten in die zweite Reihe, wird tun, was verlangt wird.

Vielleicht muss er den besten Spieler der Letten verteidigen, vielleicht Schröder als Aufbau vertreten, vielleicht Dreier treffen – wer weiß das schon. „Für mich ändert sich nichts. Ich will dem Team geben, was es braucht“, sagt Bonga. Für Neid ist eh kein Platz. Nicht im Viertelfinale – und erst Recht nicht unter Brüdern.

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