Wolfsburg/München – Er ist noch Nationalspieler, er ist nicht mehr Nationalspieler, er ist Stand-by-Nationalspieler, er weiß es selbst nicht, niemand weiß es – und dann gibt es diese Statusmeldung aus dem Nichts: Thomas Müller, mit 33 in einem gesegneten Alter und einmal schon, von 2019 bis 2021 aussortiert aus der DFB-Eilte, gehört wieder der Nationalmannschaft an.
Bundestrainer Hansi Flick hat am Montagmorgen nach Rücksprache mit dem Münchner Routinier Fakten geschaffen: Da sich Niclas Füllkrug nach seinem ersten Kurzeinsatz für Borussia Dortmund als unpässlich abmeldete, nominierte Hansi Flick Thomas Müller nach. Müllers letztes Länderspiel war das dritte bei der WM in Katar gewesen. Das gegen Costa Rica, (4:2), an dessen Ende die deutschen Spieler geschockt das WM-Aus quittieren mussten. Müller hielt vor den Kameras anschließend eine große Rede an die Nation, sie klang nach Abschied.
Mit dem Abstand von einigen Wochen wich die Rührseligkeit wieder dem Kalkül: Eine Heim-EM, wie sie 2024 ansteht, hatte er noch nicht erlebt, vielleicht nimmt er sie noch mit. Er sagte, er trete nicht zurück. Oder im Thomas-Müller-Deutsch: „Ich bin zu jeder Schandtat bereit.“ Mit der Personalie Müller setzt Flick nun ein klares Zeichen, dass es ab sofort in eine neue Phase der Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Deutschland geht. Weniger Experimente – abgesehen von der erstmaligen Berufung des England-Legionärs Pascal Groß –, dafür eine zielgerichtete Suche nach einem Gerüst, einer ersten Elf.
Thomas Müller wird voraussichtlich eher nicht zu ihr gehören, aber er hat jetzt die Chance, sich zu empfehlen und wird nicht erst eine (Not-)Option wie vor der EM 2021.
Hansi Flick steht unter Beobachtung wegen schlechter Ergebnisse (zuletzt: 0:2 gegen Kolumbien, 0:1, in Polen, 3:3 gegen die Ukraine, 2:3 gegen Belgien, 2023 gelang lediglich gegen Peru ein Sieg, ein 2:0) und weil er nicht den Eindruck erweckte, einem klaren Ziel zu folgen. Trotz der prekären Finanzlage des DFB gilt der Bundestrainer als gefährdet, man will von ihm sehen, dass er einen Aufschwung einleiten kann. Wichtig ist erst einmal das Testspiel am Samstag (20.45 Uhr, RTL) in Wolfsburg gegen Japan, weil das der Gegner ist, der ungute Erinnerungen an Katar weckt. Eine neuerliche Niederlage (damals: 1:2) wäre eine Katastrophe für Flick. Am kommenden Dienstag gegen Frankreich (in Dortmund) bietet sich die Möglichkeit, mit einem Auftritt, so er gelingt, ein Stück des verloren gegangenen Glaubens der Deutschen an ihre Mannschaft zurückzugewinnen. Es ist fast schon eine Rücken-zur-Wand-Situation.
So schlecht war die Stimmung rund ums DFB-Team seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Der ehemalige Sportdirektor des Verbandes, Matthias Sammer, gab der SZ am Wochenende ein Interview, bei dem er Motzki-Laune hatte („Seien wir doch mal ehrlich: Wir liegen am Boden“), und diese Woche kommt die Amazon-Doku „All or Nothing“ auf den Markt, die das Scheitern in Katar beleuchtet und mehrere Akteure schlecht aussehen lässt – wie die in eine heftige Kontroverse involvierten Joshua Kimmich und Antonio Rüdiger. Thomas Müller kommt nicht negativ rüber, denn er ist in jeder Lebenslage unterhaltsam. Und er ist wieder da.