Manila – Zehnter Stock im Sternehotel, ein Caffè Americano und Polo-Shirt. Am Tag vor dem Viertelfinale empfängt Ingo Weiss mit der Nonchalance, die die deutschen Basketballer durch die Weltmeisterschaft in Asien trägt. Ungeschlagen erreichen sie Manila, die K.o.-Runde. Heute (10.45 Uhr/Magentasport) trifft die Nationalmannschaft auf Lettland. Womöglich mit Franz Wagner, der das Training wieder aufgenommen, und mit dem Selbstverständnis eines Medaillenfavoriten. Vor dem großen Spiel hat Weiss, der Präsident des Deutschen Basketball Bunds (DBB), exklusiv mit dem Merkur gesprochen. Über die Schmach von 2019, über Dennis Schröder und den Lärm, der ihn umgibt, und über die nächste WM in Katar.
Herr Weiss, die letzten Sommer verliefen beeindruckend: EM-Bronze, die Frauen im Viertelfinale, Medaillen bei den Jugendturnieren – was hat sich getan im deutschen Basketball?
Jetzt könnte ich süffisant sagen: Das war der Punkt, als PotAs (eine Kommission, die das Potenzial der Sportarten analysiert) uns gesagt habt: Wir haben kein Potenzial. Wir verlieren jedes Jahr 250 000 Euro, weil wir herunter gestuft wurden und nicht mehr so viel Zuschüsse bekommen. Man hat vorher die Veränderungen geplant, Personal angestellt. Wir haben schon 2014 geschaut, wie wir was verändern und voranbringen können. Danach kam der Umbruch. In der NBBL sind wir stärker geworden, die Zusammenarbeit mit der Bundesliga auch. Was wir davor schon hatten, wurde noch mehr konzentriert. Dadurch haben wir jetzt die Erfolgsgeschichten. Natürlich ärgert man sich, wenn man von einem wissenschaftlichen System gesagt bekommt: Ihr habt kein Potenzial, ihr holt keine Medaille. Jetzt ist genau das Gegenteil passiert. Es tut sich einiges. Wir haben zum ersten Mal die große Chance, uns mit den Frauen für Olympia zu qualifizieren. Das kommt auch aus der Motivation der Vergangenheit heraus, aus den Maßnahmen, die EM 2015 und voriges Jahr. Wir haben 30 000 neue Kinder bekommen. Das war ein entscheidender Faktor.
Über allen stehen derzeit die Männer: Ab wann war ihnen klar, das ist etwas Magisches?
Für mich war ein Faktor die Weltmeisterschaft 2019. Wir hatten gerade das letzte Spiel verloren, waren alle genervt, keiner wollte mit der Presse reden. Da bin ich mit Dennis gemeinsam Richtung Kabine gegangen. Er hat zu mir gesagt: Das geht so nicht, wir haben uns scheiße verkauft, in seiner direkten Art, die ich liebe. Wir müssen uns alle aus dem Tal raus reißen, wir müssen uns alle verpflichten. Da war mir klar: Wenn er das ernst meint, werden wir den Erfolg haben. Dass die Europameisterschaft bei uns so gut läuft, damit habe ich auch nicht gerechnet. Wie die Fans uns getragen haben und die Mannschaft gekämpft hat, im letzten Spiel die Medaille wollte, das ist phänomenal gewesen.
Dennis Schröder hat viel Kritik abbekommen in der Vergangenheit, war gerne der Buhmann. Der Verband hat sich hinter ihn gestellt. Warum?
Das ist ganz einfach: Man muss zu seinen Spielern stehen. Und zweitens, wie das in einer Ehe heißt: in guten wie in schlechten Tagen. Man kann nicht immer alles rosig haben. Wenn wir als Team zusammenstehen, dazu zählt ja nicht nur die Mannschaft, ist das korrekt. Selbst wenn ich wie 2019 nicht so gut war, muss ich sagen: Jetzt erst recht. Wir wären ein schlechter Verband, wenn wir nicht hinter unserer Spielern stehen und sich für sie engagieren.
Sein Disput mit Daniel Theis und dem Bundestrainer im Spiel gegen Slowenien wurde heiß gekocht. Ein Problem oder nur eine Lappalie?
Alle reden gerne über den Streit. Ein reinigendes Gewitter ist doch manchmal ganz gut. Es ist auch gut so, dass der Coach auf den Putz haut und sagt: Ich bin der Chef im Ring. Und dass ein Dennis klare Ansagen machen muss als Mannschaftskapitän, ist ganz klar. Ich glaube, das hat den Jungs insgesamt geholfen.
Welchen Stellenwert hat Dennis Schröder für den deutschen Basketball?
Einen enormen, weil er an vielen Stellen das Aushängeschild ist und der Garant für tolle Spielaktionen. Wenn man in der Halle gehört hat, wie die Leute begeistert geraunt haben, sobald er zum Korb geht, eine Drehung macht, angesprintet kommt. Dennis ist einer, der den deutschen Basketball zur Zeit trägt. Aber das kann man zu den anderen auch sagen: Paradiesvogel Bonga, das meine ich nett, mit seinen Haaren. Moritz in seiner Art, der immer was Nettes und Fröhliches über die Lippen bringt. Daniel Theis, bei dem mir in Bonn Angst und Bange geworden ist, dass er die Körbe kaputt macht und ich einen neuen kaufen muss. So viel Power und Energie, wie die reinbringen. Das sind alles Charaktere, die für den Basketball wichtig sind. Unsere Mannschaft ist der gesamte Star.
Können Sie sich erklären, warum trotzdem kein TV-Sender aufspringt und sich die Übertragungsrechte sichert?
Dafür habe ich keine Erklärung. Das ist das Traurige. Wir schreiben uns groß auf die Fahne, wir wollen in Deutschland irgendwann mal wieder Olympische Spiele ausrichten und als Sportnation aktiv sein. Am Ende muss ich fest stellen: Wir sind eine Fußballnation, aber keine Sportnation. Wir haben ein Viertelfinalspiel, das nicht zur Tatortzeit läuft. Wir spielen tagsüber. Wenn Sie da den Fernseher anschalten, könnte da auch Basketball laufen. Ich bin nicht böse, wenn ein Sender das nicht will. Ich kann das nicht ändern. Dann verlieren halt ARD und ZDF die Zielgruppen und bleiben bei der älteren Bevölkerung. Die junge Bevölkerung, die eigentlich eine interessante Zielgruppe ist, schaut Magentasport. Mir haben Lehrer berichtet, die im Sportunterricht eine Halbzeit unser Spiel geschaut haben und dann selbst gespielt haben. Mit Magenta bin ich zufrieden, die machen einen exzellenten Job, berichten über alle Dinge. Ich bedauere einfach nur, dass die Sender nicht den Weitblick haben.
Olympia 2024 findet in Paris statt. Zwei NBA-Spieler hätte Deutschland noch, Isaiah Hartenstein und Maxi Kleber, der zuletzt im Clinch mit Dennis Schröder seine WM-Teilnahme absagte. Würden Sie die Zwei gerne im deutschen Trikot sehen?
Ich würde gerne die beste Mannschaft sehen, die Deutschland aufstellen kann. Wer auch immer dazu gehört. Ich denke nicht nur an Maxi Kleber, der 31 Jahre alt ist, sondern auch an junge Spieler. Wir haben einen exzellenten Coach, der entscheiden wird: Wie kann ich meine beste Mannschaft zusammen stellen. Da ist man selber hin und her gerissen. Da schaue ich nicht nur nach dem, was in der NBA ist.
Interview: Andreas Mayr