Wolfsburg – Jeden Tag wird ein neues Stückchen aus der Amazon-Dokumentation über die deutsche Nationalmannschaft in Katar gedroppt, wie Medienleute sagen. Der neueste Tropfen: Hansi Flick, wie er in der Halbzeit des Costa-Rica-Spiels schreit, dass ein Kasernenhof dagegen wie eine Oase der Stille wirkt. Und ganz un-Hansi-like nennt er den Gegner „diese Blinden“.
Am Donnerstag wird das Werk in vollem Umfang (vier Teile zu 45 Minuten) abrufbar sein. Robin Gosens rät allen, die daraus ein Thema machen wollen, das abzuwarten und es „in einen Gesamtkontext einzuordnen“. Sonst gehe es eben weiter damit, „dass aus Ausschnitten Schlagzeilen gemacht werden“. Die gab es, seit der Trailer veröffentlicht wurde: Niklas Süle lässt sich von Joshua Kimmich nichts sagen – Kimmich findet, bei Antonio Rüdiger gehe vieles hinten rum – Oliver Bierhoff zweifelte an der Mannschaft – Flick reklamierte: Es geht nur um Politik, und Deutschland mag uns nicht mehr.
Robin Gosens sitzt in Wolfsburg, blickt voraus auf die Länderspiele gegen Japan und Dortmund und meint zu den Konfliktthemen: „Stress gibt es in jeder Mannschaft mal.“ Ob er sich „All or Nothing“ überhaupt ansehen wird, hat er noch nicht entscheiden, denn: „Ich weiß ja, wie das tägliche Leben in der Nationalmannschaft ist.“ Wie es im November 2022 in Katar war, weiß er zwar nicht, weil er nicht nominiert wurde – und das könnte ihn davon anhalten, sich die Serie anzutun: „Da ist eine Wunde, von der ich nicht weiß, ob ich sie aufreißen will. Für mich war es schmerzhaft, die WM zu verpassen.“
Für Pascal Groß, völlig neu im DFB-Kader, könnten die drei Stunden Film eine Einführung ins Innenleben sein ihm zeigen, wohin er geraten ist – doch er befürchtet, zu Voreingenommenheit verleitet zu werden: „Ich mache mir lieber ein eigenes Bild von den Menschen. Daher ist die Doku für mich irrelevant.“
Den gemeinsamen Fernsehabend mit „All or Nothing“ wird’s also nicht geben bei der Nationalmannschaft in Wolfsburg, der Blick soll nicht zurück gehen, sondern nach vorne gerichtet werden. Sind die beiden Spiele, die anstehen, die wichtigsten seit Langem, weil es auch um Hansi Flick geht? „Ein riesengroßes Ja“, gibt Robin Gosens zu, „wir sind mit einem Scheißgefühl in die Sommerpause gegangen und sind unserem Trainer was schuldig. Jeder hier ist sich des Ernsts der Lage bewusst.“ GÜNTER KLEIN