Schönwetterkicker, Egomanen, gerupfte Gänse

von Redaktion

Was ist los mit dem DFB-Team? Sportpsychologe Herzog fällt ein vernichtendes Urteil

München – Hansi Flick weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der Bundestrainer muss liefern, sonst könnte sein Job in Gefahr sein. Diesen Gedanken schiebt der 58-Jährige allerdings zur Seite. „Das wäre kein guter Ratgeber“, sagt er: „So kann ich doch nicht in die Spiele gehen.“ Unsere Zeitung sprach mit dem renommierten Sportpsychologen Matthias Herzog (46).

Herr Herzog, warum steckt der DFB aus Ihrer Sicht in der Krise?

Inzwischen haben speziell die Spieler ein Psychoproblem. In den letzten Jahren mehren sich die Misserfolge. Ab und an gab es mal positive Ausreißer, aber es ist nie eine neue Serie entstanden, an der das Selbstvertrauen hätte wachsen können. Wer zur Nationalmannschaft fährt, weiß aktuell: Es droht der nächste Misserfolg.

Warum bekommen die Stars Ihre Qualität im DFB-Trikot nicht auf den Platz?

Die Nationalmannschaft ist seit Jahren ein Haufen von Schönwetterfußballern. Wenn es gut läuft, können sie jeden an die Wand spielen. Läuft es schlecht, tauchen alle unter. Es gibt keinen wirklichen Leader, der Verantwortung übernimmt, klar, direkt, fordernd und gleichzeitig positiv kommuniziert und motiviert.

In der Amazon-Doku, die ab Freitag zu sehen ist, über die Nationalmannschaft spürt man Spannungen unter den Stars während der WM.

Aktuell ist die Mannschaft eine Ansammlung von Egomanen. Spieler wie Goretzka zeigen bei Nichtberücksichtigung ihre Enttäuschung nicht nur emotional, sondern zicken förmlich rum. Das erinnert an die beleidigte Leberwurst. Auch Süle ist darin ein Großer. Team steht hier klar für: Toll, ein anderer macht’s. Team sollte eigentlich stehen für: Teil einer außergewöhnlichen Mannschaft und die tut etwas Außergewöhnliches miteinander. Das hatten wir 2014 in Brasilien. Wir sind aktuell jedoch weit davon entfernt. Der majestätische Bundesadler auf der Brust der Spieler gleicht derzeit mehr einer gerupfte Weihnachtsgans.

Sehen Sie auch ein Kommunikationsproblem?

In der Doku fällt auf, dass die Stars unter hohem Druck und Anspannung überhaupt nicht mehr vernünftig kommunizieren. Die Lunte ist so kurz, dass sie sich schnell gegenseitig verbal angreifen und verletzen. In Schuldzuweisungen sind sie groß.

Wie steht’s um die Kritikfähigkeit im Team?

Die Spieler fühlen sich sofort persönlich angegriffen, anstatt Sach- und Beziehungsebene zu trennen. Die Aussage von Süle, Kimmich solle ihn ,nicht volllabern’, hat null Inhalt und ist rein problem- und nicht lösungsorientiert. Selbst Rüdiger, der immerhin bei Real spielt, bringt es nicht auf den Punkt. Hinter dem Rücken lästert er über Kimmich, anstatt es ihm direkt ins Gesicht zu sagen.

Welche Rolle spielt Bundestrainer Flick?

Wenn er bemängeln muss, dass zur Teamsitzung Personen wie Julian Brandt zu spät kommen, sagt das viel darüber, wie Flick seine Mannschaft im Griff hat. Dieses Beispiel zeigt mir, dass Flick ein Autoritätsproblem hat.

In der Doku sieht man, dass Flick und Teampsychologe Hermann versuchen, die Mannschaft mit einem Film über Graugänse zu beflügeln.

Da hat vermutlich ein Hans-Dieter Hermann – ein hochkompetenter Mentaltrainer – Flick die Geschichte vorgestellt und Hansi hat sie mal eben erzählt. Bei einer WM musst du alles vorbereiten. Die Geschichte hätte geskriptet werden müssen. Und die fünf Leitfäden wurden einfach vom Trainerteam vorgegeben, anstatt sie mit dem Team gemeinsam zu entwickeln. Dann wäre die Identifikation viel höher gewesen.

Interview: Philipp Kessler, Manuel Bonke

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