Wird Radio Müller noch mal zum Hit?

von Redaktion

Reaktionen auf Berufung des 33-Jährigen gespalten – Bayern-Spieler im Check

VON GÜNTER KLEIN

Wolfsburg – Es gibt noch Fans der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, unter ihnen sind sogar Schnellbastler. Am Montagvormittag wurde Thomas Müller für den DFB-Kader für die Länderspiele gegen Japan (Samstag, 20.45) und Dortmund (nächsten Dienstag, 21 Uhr) nachnominiert, und als der Bayern-Altstar am Montagabend im Hotel Ritz Carlton der Wolfsburger Autostadt eintraf, erwartete ihn ein Plakat mit seinem Abbild und der Aufschrift „Radio Müller = Mein Lieblingssender“. Die Reaktionen auf die Berufung des 33-jährigen Münchners sind gespalten. Kann er im Herbst seiner Karriere der Nationalmannschaft noch das gewisse Extra geben? Müller im Check.

Verbindung zur Nationalmannschaft: Glaubwürdig tief. Offen bekannte Thomas Müller vor einigen Jahren, dass es einen Unterschied gebe zwischen Freundschaftskicks auf der einen und Qualifikations-/Turnierspiele auf der anderen Seite. Trotzdem sagte er auch für die belanglosen Partien fast nie ab, 35 seiner 121 Länderspiele gehörten in die Kategorie Tests. Als Müller Anfang 2019 zusammen mit Mats Hummels und Jerome Boateng vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw aussortiert wurde, nahm er die Entscheidung an – betonte aber, um ihre Rücknahme zu kämpfen. „Das war’s noch nicht.“ Er grollte nicht, gab 2021 sein Comeback. Bei der WM 2022 dankte er in einem Interview nach dem Vorrunden-Aus allen Fans in Deutschland spontan „für eine emotionale Reise“, was nach Rücktritt klang – doch in den folgenden Wochen stellte er fest: Er ist noch nicht zum endgültigen Abschied bereit.

Leistungskurve in der Nationalmannschaft: Sie ging natürlich nach unten. WM 2010 und 2014, das waren die großen Thomas-Müller-Turniere. Europameisterschaften verliefen weniger glücklich. Bei EM 2012 und 2016 blieb er torlos, sagte: „Aber die Rolle ist eine andere.“ Löw brauchte ihn auf dem rechten Flügel – nicht Müllers liebste Position; er verrichtete auch viel Arbeit nach hinten. Sein Status wurde bei der WM 2018 angekratzt, als er im letzten Gruppenmatch gegen Südkorea nur eingewechselt wurde. Beim anschließenden Neuaufbau berücksichtigte Joachim Löw ihn schon nicht mehr richtig; dass er ihn im Nations-League-Spiel gegen die Niederlande (2:2) im November 2018 noch einmal einwechselte, war eine Verbeugung vor dem Gesamtkunstwerk. Müller kam so zu seinem 100. Länderspiel, „und dafür gebe ich ihm ein Bier aus“, so Löw. Danach war aus Sicht des Bundestrainers Schluss.

Torgefahr in der Nationalmannschaft: In den 21 Spielen seit seiner Wiederaufnahme ins Nationalteam erzielte Thomas Müller sechs Tore – keine schlechte Quote. Allerdings: Bei Turnieren ist ihm das Tor-Mojo verloren gegangen. Letzter Treffer bei einem Turnier: Müller war beteiligt am legendären 7:1 gegen Brasilien 2014. Neun Jahre her, bei der EM 2024 dann zehn Jahre zurückliegend – eine andere Zeit, ein anderer Fußball. Im EM-Achtelfinale 2021 in Wembley gegen England vergab er kurz vor Schluss eine Torchance auf schmerzhafte Weise. Heldentum verpasst.

Qualitäten, die er noch hat: Auf Fußballneudeutsch: Müller ist polyvalent, er kann verschiedene Rollen einnehmen. Was den Körper betrifft: Zuletzt hatte er es an der Hüfte, doch gemessen an seinem Alter und der Tatsache, dass er immer Vielspieler war, zeigt er weit weniger Verschleiß als viele vor ihm. Was für Müller spricht, sind die weichen Faktoren: Der Schatz an Erfahrung, die Unaufgeregtheit, der ironische Abstand, den er zum Fußballbetrieb einnimmt – Müller kann auf die öffentliche Stimmung einwirken, in Zeiten wie diesen nicht unwichtig. Vielleicht spielt Radio Müller doch noch mehr als das Beste der Zehner-Jahre.

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