In der Schlusssekunde hätte ein einziger Wurf dem deutschen Märchen in Asien ein Ende setzen können. Doch der Ball tanzte auf den deutschen Korb und plumpste hämisch wieder herunter. Womit nun amtlich ist – so nahe liegen Party und Depression im Sport manchmal beinander: Das deutsche Team ist tatsächlich dabei, wenn es in Manila am Wochenende um die Medaillen geht. Es wartet ein Gigantenduell im Halbfinale. Das bislang beste Team des Turniers – es klingt noch immer gewöhnungsbedürftig – fordert Topfavorit USA.
Und man ahnt: Nun ist bei dieser Weltmeisterschaft bis hin zum ganz großen Wurf tatsächlich alles drin für die Mannschaft von Trainer Gordon Herbert. Zumal man sich gegen famos kämpfende Letten selbst eine wertvolle Botschaft lieferte. Man kann auch abliefern, wenn der bisherige Leitwolf nicht funktioniert. Dennis Schröder erlebte im Viertelfinale einen philippinischen Nachmittag zum Vergessen. Rückkehrer Franz Wagner sprang aus dem Stand in die Bresche.
Und das ist sicherlich der Hauptunterschied zu vergangenen Jahren: Die Generation 2022/23 ist eine funktionierende Mannschaft. Klar, man hat das viel beschriebene zweiköpfige Monster, die Unterschiedsspieler Schröder und Wagner. Doch sie sind Teile eines Kollektivs, das auch ohne sie Lösungen findet. Man hat das nach dem Auftaktspiel gegen Japan gesehen, als sich Wagner am Fuß verletzte und vier Spiele lang zuschauen musste. Und man hat es nun im Viertelfinale gesehen. In einem Spiel, in dem eine Niederlage so ziemlich alles zunichte gemacht hätte, was man sich in den beiden letzten Wochen aufgebaut hatte, sprangen andere für den schwächelnden Schröder in die Bresche.
Das Ergebnis ist klar: Man steht nun in der ersten Reihe des Weltbasketballs. Der deutsche Siegeszug wurde nicht von einem enthusiastischen Heim-Publikum befeuert – wie bei der EM im vergangenen Jahr. Man greift nach den Medaillen, weil man in diesen Tagen besser Basketball spielt als das Gros der Konkurrenz. Selbst der erste große Titel seit 1993 wäre keine Sensation mehr.
Und was noch besser ist: Dieses Team ist in seiner Entwicklung nicht am Ende. Man kann auch bei kommenden Großereignissen in vergleichbarer Besetzung auflaufen. Zum Beispiel bei Olympia 2024. Das Ticket dorthin hat die DBB-Auswahl seit Mittwoch in der Tasche.
patrick.reichelt@ovb.net