Ins Halbfinale gezittert

von Redaktion

Die deutschen Basketballer kompensieren Schröders Totalausfall – und treffen nun auf die USA

VON ANDREAS MAYR

Manila – Johannes Thiemann betete. Ihm fiel nichts Besseres mehr ein, als Davis Bertans – der lettische Superschütze – zum Wurf ansetzte. Kollege Daniel Theis hoffte. „Bitte wirf vorbei“, so erzählte er’s hinterher. Für wenigstens einen Moment fügte sich das Schicksal nach den Wünschen der deutschen Basketballer. Bertans, zuvor mit sechs Dreiern aus teils aussichtslosen Lagen, setzte seinen letzten wie entscheidenden Versuch etwa zehn Zentimeter zu weit an. Danach brach der Anführer der Letten auf dem Parkett zusammen, versteckte sein Gesicht, die Tränen liefen. Und Deutschland stand im Halbfinale dieser Weltmeisterschaft nach einem 81:79-Erfolg.

Bei den Deutschen war keine Gefühlsexplosion zu vernehmen, sondern literweise ausströmende Erleichterung. Das Nationalteam war mit dem schönsten blauen Auge seiner Geschichte davon gekommen. Erstmals nach 21 Jahren erreicht Deutschland die Runde der letzten Vier und trifft am Freitag auf die Amerikaner.

Das Skript dieses Krimis schrieben die beiden Besten des Landes: Dennis Schröder und Franz Wagner. Anführer Schröder, weil er das „wahrscheinlich schlechteste Spiel meiner Karriere“ in Manila vollführte. 22 Fehlwürfe, darunter die ersten zwölf in Folge, nur vier Treffer und neun Punkte spuckte die Statistik aus. Manche sprachen von einem Rückfall in alte Zeiten, als seine Eigensinnigkeit stellenweise Ballast für das DBB-Team war. Aber diese Mannschaft lebt und atmet anders als früher. „Alle haben mich getragen“, sagt Schröder: „Das sagt alles darüber aus, wie unser Team gebaut ist.“

Vor allem hat diese Mannschaft Franz Wagner wieder. Den Retter in höchster Not. Selbst in Amerika (dort spielt er in Orlando) finden sich genug Experten, die in ihm einen veritablen NBA-Star erkennen, also einen der besten 20 Spieler des Planeten. „Franz ist unglaublich“, lobt etwa Daniel Theis. Elf Tage hatte der 22-Jährige mit einem lädierten Sprunggelenk ausgesetzt. Nie und nimmer hätte man von ihm eine derartige Leistung erwarten können bei der Rückkehr. Das rohe Zahlenwerk mit 16 Punkte, acht Rebounds und drei Vorlagen illustrierte lange nicht seinen Wert. Wagner war es spät in der Partie, Anfang des vierten Viertel, der Deutschlands zweistelligen Vorsprung orchestrierte, als Vollstrecker, als Spielmacher, aber genauso als Oktopus der Defensive, dessen Tentakel überall zu finden waren.

„Franz hat uns aufgefangen“, sagt Gordon Herbert. Der Bundestrainer schickte seinen Alleskönner mit den Männern von der Bank ins Spiel. Zum wiederholten Mal bogen die Spieler aus der zweiten Reihe einen schwachen Start um. Das wird zum Markenzeichen dieses Teams. Gleichermaßen eine tugendhafte wie beunruhigende Sache. Die Starter wirkten wieder unvorbereitet. Lettland diktierte den Stil der Partie. Sie verteidigten Schröder ausnahmslos mit großen Leuten, zwangen ihn zu Distanzwürfen, und weil einfach keiner fallen wollte, raubten sie dem DBB-Kapitän das Selbstvertrauen.

Zusätzlich hievten sich die zwei Schlüsselmänner der Letten auf ein elitäres Niveau. Der junge Arturs Zagars, noch immer ohne Vertrag, war bester Aufbauspieler in der Arena, kam auf 24 Punkte sowie acht Vorlagen und schleifte sein Team in der Schlussphase wieder heran, bis auf zwei Punkte. Der andere, Davis Bertans, warf einfach nicht vorbei. Doch die Deutschen dämmten erfolgreich den Brand ein, kein Dritter fing Feuer. In der Verteidigung sammelten beinahe alle Deutschen Bestnoten, im Angriff brachte sie ihre größten Werkzeuge in Betrieb. Die Wucht der Großen, Daniel Theis (fünf Offensivrebounds), Johannes Thiemann (zehn Punkte) und Moritz Wagner (zwölf Zähler). Den Ideenreichtum der Kleinen, Maodo Lo und Franz Wagner. Und die Wurfkünste von Andreas Obst (13 Punkte).

„Wir wussten, dass wir hier eine spezielle Truppe haben“, sagt Franz Wagner. Sie radierte Schröders Missgeschick weg. Als Lohn gibt es nun das Spektakel gegen die Amerikaner. Egal wie das endet: Die Olympiateilnahme hat Deutschland nun sicher. Das machte den Tag zu einem historischen. Aber es geht noch mehr. Ab jetzt scheint nichts mehr unmöglich.

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