Manila – Dauerzwist mit den Medien, haushohe Erwartungen in der Heimat und eine Basketballwelt im Wandel: Wieso tut sich der Mann das alles an? Mit 74 Jahren. Die Frage hört Svetislav Pesic ständig – und gibt darauf die pesicsste Antwort: „Weil ich das Gefühl habe, dass das meine Pflicht ist.“
Übersetzt: Weil er ein Besessener ist, der eine Schuldigkeit für sein Heimatland fühlt, das früher Jugoslawien war und heute Serbien heißt. Mit den Serben, dem basketball-narrischen Volk vom Balkan, steht der Kulttrainer im Halbfinale der Basketball-WM gegen Kanada – und alle fragen sich einmal mehr: Wie hat der alte Sveti das denn wieder geschafft?
Die Antwort ist immer die gleiche. Egal wie alt der Mann ist, er weicht nicht von seinen Prinzipien ab. Seine Mannschaft, seine Regeln. Daheim mag das nicht jedem gefallen, dass er immer dieselben Spieler mitnimmt, sich mit denselben Leuten umgibt. Aber das juckt einen Svetislav Peisic nicht. Von Zeit zu Zeit verteilt er einen Haken an viele Journalisten des Landes, die schon wieder ausholten nach der Niederlage gegen Italien in der Zwischenrunde, als das Team in der Schlussphase einbrach. Rückblickend hätte den Serben nichts Besseres passieren können.
Erstens gingen sie den Amerikanern aus dem Weg, zweitens rückte dieses Team noch enger zusammen, als es ohnehin schon war. Das ist Svetislav Pesic und sein Stil: bedingungsloser Teamgeist. Danach wählt er aus. Wer sich nicht der Mannschaft unterwirft, darf nicht mit. Vor dem Viertelfinale gegen Litauen schrieb er nur einen Satz auf die Taktiktafel in der Kabine. Auf Serbisch. Frei übersetzt lautet der: „Einer für alle, alle für einen.“
Der tragische Fall von Borisa Simanic dient als weitere Energiequelle. In der Vorrunde gegen den Südsudan bekam er einen Ellbogen ab, eine Niere musste entfernt werden. Ob er je wieder spielen kann, weiß niemand. Nach dem 87:68-Erfolg über Litauen skandierten Spieler und Fans in Manila seinen Namen. Seit dem Vorfall treten die Serben wie ein wildgewordener Schwarm Bienen auf. NBA-Mann Bogdan Bogdanovic trifft aus jeder Lage, Kettenhund Aleksa Avramovic sieht aus, als würde er seine Gegner zerfleischen wollen und gemeinsam verteidigen sie mit einer Intensität, an die kein anderes Team heran kommt. Und so ist diese serbische Mannschaft die Reinkarnation des Svetislav Pesic, 2002 übrigens Weltmeister mit Jugoslawien. Er greift wieder nach dem Titel.
ANDREAS MAYR