„Wissen, dass wir jeden besiegen können“

von Redaktion

Eishockey-Bundestrainer Kreis über den Sommer mit WM-Silber und die Gründe für den Erfolg

Berlin – Das war die Sport-Story des Frühjahrs: Deutschland gewann Silber bei der Eishockey-Weltmeisterschaft Finnland. Was für ein Einstand für Harold Kreis, der erst ein paar Wochen Bundestrainer war. Wie geht es weiter im deutschen Eishockey? Ein Gespräch mit dem 64-jährigen Deutsch-Kanadier.

Harold Kreis, wie war Ihr Sommer als Vizeweltmeister?

Wenn ich darüber nachdenke: Das ist dreieinhalb Monate her, dass wir das geschafft haben, Unglaublich, dass schon so viel Zeit vergangen ist. Was wir geleistet haben, realisiere ich dadurch, dass ich angesprochen werde von Menschen, sie zur Silbermedaille gratulieren und ihr Lob ausdrücken, was für eine Mannschaftsleistung das gewesen ist. Viele Menschen haben sich begeistern lassen. Jetzt bin ich dabei, alle Clubs der DEL und DEL2 zu besuchen, das sind 28. Ich lerne Deutschland ganz intensiv kennen, obwohl ich schon 45 Jahre hier bin. Es macht Spaß, Beziehungen aufzubauen, und wenn ich durch diese Anerkennung die Vereine vor allem der DEL2 unterstütze, ist das eine gute Sache.

Haben Sie sich zuhause mal in Ruhe hinsetzen und das Turnier in Tampere und Riga Revue passieren lassen können?

Ich habe das Turnier aufgearbeitet mit Sulzi (Alexander Sulzer, Co-Trainer, d. Red.) und Christian (Künast, Sportdirektor). Wir haben uns gefragt: Was haben wir gut gemacht, was können wir besser machen, was können wir beibehalten? Wir haben die Spieler, die bei der WM dabei waren, beurteilt, ebenso die aus dem erweiterten Kreis für den Deutschen Olympischen Sport-Bund. Dann war ich beim Hlinka-Gretzky-Cup (traditionsreiches U18-Turnier) und in Füssen bei Lehrgängen der U20 und U16. Es soll eine Wertschätzung für die Jungs und ihre Trainer sein.

Wenn Sie nun die DEL-Clubs besuchen: Was wollen Sie von denen wissen und die von Ihnen?

Ich sage: „Hey, Jungs, ihr macht einen fantastischen Job!“ Die Trainer in der DEL sind wirklich herausragend, auch die, die als Headcoaches neu in die Liga kommen. Ich profitiere von ihrer Arbeit in einer sehr wettbewerbsharten Liga. Dann bitte ich sie um ihre Meinung: Wie sehen sie uns, was könnten wir beim Verband anders machen? Und schließlich gebe ich Empfehlungen nach dem, was mir auffällt.

Einen Alltag als Bundestrainer haben Sie noch gar nicht gelebt, weil Sie bis Februar, zum Ende der Hauptrunde, in Schwenningen unter Vertrag standen. Erst 2023/24 legt der Bundestrainer Harold Kreis richtig los. Wie?

Ich werde Spiele beobachten und Spieler beobachten, Kontaktpflege betreiben. Christian Künast und ich werden zur U20-WM nach Schweden fahren, und eine Reise nach Nordamerika ist in der Planung. Wir wollen drüben, in der NHL und AHL, die deutschen Spieler beobachten.

Erste Maßnahme der Nationalmannschaft ist der Deutschland Cup im November, diesmal in Landshut – Novum: Es spielen Männer und die Frauen.

Und das freut mich: Das Frauen-Eishockey gewinnt an Interesse und Dynamik. Eine tolle Entwicklung, dass wir an einem Standort sein und zwei Turniere gleichzeitig haben werden.

Der letzte Deutschland Cup in Krefeld war von der Resonanz traurig. Es wurde kritisiert, dass Deutschland, wie schon öfter, zum eigenen Turnier nicht mit der besten Mannschaft antritt. Wie wird es bei Ihnen sein?

Das geschieht in Absprache mit dem Spielern. Manche haben ja viele Weltmeisterschaften erlebt und brauchen eine Pause. Vielleicht kann aber auch der eine oder andere antreten, der bei der WM´verletzungsbedingt gefehlt hat; wir hatten ja viele Absagen. Der Deutschland Cup war immer die Möglichkeit, neue Spieler zu beobachten und zu integrieren. Und meines Wissens hat Deutschland das Turnier die letzten vier Male gewonnen.

Als WM-Zweiter hat Deutschland im internationalen Eishockey einen höheren Status. Schafft doch Druck, immer top performen zu müssen, oder?

Wir haben über die Jahre hinweg – angefangen mit Marco Sturm und fortgesetzt mit Toni Söderholm, meinen Vorgängern – einen Anspruch entwickelt, wie wir in die Spiele hineingehen. Das tragen die Spieler, das müssen wir Trainer nicht thematisieren. Die Spieler reisen zur Nationalmannschaft mit dieser Einstellung an: Egal, wie der Gegner heißt, wir gehen mit der Gewissheit heran, diese Mannschaft besiegen zu können. Daran muss ich also gar nicht arbeiten, und so sprechen wir nicht von Druck, sondern einer glücklichen Situation, eine gute und breite Auswahl zu haben.

Ist die funktionierende Eishockey- ein Gegenbeispiel zur Fußball-Nationalmannschaft?

Nein, zwischen den Sportarten kann man keine Vergleiche anstellen. Wir hatten einfach das Glück, dass unsere Spieler sich auf und weg vom Eis sehr gut verstanden haben. Wer auch immer das initiiert hat, ob Moritz Müller oder Moritz Seider, die abends immer schwimmen gegangen sind im kalten See vor unserem Hotel bei Tampere: Das Soziale hat gestimmt, das Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Mannschaft. Das hat sie mutig auftreten lassen.

Maxi Kastner, der als Garmisch-Partenkirchener frische Bergseen kennt, meinte, die Temperatur des Sees dürfte um die neun Grad gelegen haben. Waren Sie, der einstmals leidensfähige Verteidiger, auch mit im Wasser?

Ne ne ne, das war eine Veranstaltung der Mannschaft, wir Trainer waren Video schauen, schneiden und die Spiele vorbereiten.

Interview: Günter Klein

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