Bereit für die Ex-Außerirdischen

von Redaktion

Deutschlands Basketballer ahnen – auch Top-Favorit USA ist bei dieser WM schlagbar

VON ANDREAS MAYR

Manila – Die Basketballer der Vereinigten Staaten von Amerika traf man im sechsten Stock eines Luxushotels. Das ist insofern bemerkenswert, weil sich alle übrigen Teams die gleiche Herberge teilen. Aber der US-Basketball spielt schon immer nach eigenen Regeln, das wird später noch wichtig. Im Fünf-Sterne-Palast Shangri-La von Manila mieteten sich die Stars nicht nur die Betten, sondern eine ganze Halle gleich mit. Am Tag vor dem Halbfinale gegen Deutschland ließen sie Journalisten zu sich – und an die 100 kamen. 31 Jahre nach dem das Dream-Team die Basketballwelt missioniert hat, geht noch immer eine besondere Anziehungskraft von diesem Nationalteam aus.

Aber: Ihren Zauber haben die USA verloren. Das musste jüngst sogar Sportdirektor Grant Hill eingestehen. Der Rest des Planeten hat aufgeschlossen zu den Amerikanern, gab er zu Protokoll. Es ist jetzt ein globales Spiel. Und deshalb klingt es nicht mehr utopisch zu sagen: Die deutsche Nationalmannschaft hat an diesem Freitag (14.40 Uhr, frei auf Magentasport) eine veritable Chance auf den Einzug ins WM-Finale. Die Amerikaner sind keine Außerirdischen mehr.

Der Mann, der den Masterplan aushecken soll, erlebte eine kurze Nacht. Nach dem Einzug ins Halbfinale, nach der geschafften Olympia-Qualifikation gab es für Trainer Gordon Herbert „keinen Wein, auch kein Bier“, dafür stundenlange Videotouren ins Innere des US-Teams. Drei Spiele hat Herbert durchleuchtet, darunter die Niederlage gegen Litauen – und alle ließen denselben Schluss zu: Diese Mannschaft ist zu schlagen. Einerseits sah der Bundestrainer die Vielfalt des amerikanischen Talents, die Fähigkeiten im Duell Mann gegen Mann, die überwältigende Athletik, andererseits aber auch die Lecks des Luxusliners. Ihnen fehlen die Brecher unter dem Korb, aber auch die Routine. In den vergangenen zwei Jahrzehnten liefen ja zwei Prozesse nebeneinander ab: Die übrigen Nationen holten auf – und der US-Basketball stagnierte. Die extreme Zuspitzung auf die eigene Liga NBA schadet im weltweiten Wettstreit.

Die jungen Amerikaner sind die Härte, die Regeln, ja gar die Abmessungen des Feldes nicht gewohnt. Vor allem sahen sie sich vor gut sechs Wochen zum ersten Mal, während die europäischen Nationen seit Jahren im Sommer zusammen kommen. Im Umfeld dieser WM sind die USA die Opfer ihres eigenen Systems. Natürlich haben sie Individualisten, einen Anthony Edwards, den kommenden Superstar der NBA, einen Tyrese Haliburton, den begabtesten Spielmacher der Zukunft. Aber Länder wie Deutschland bauten ein funktionierendes Ökosystem über die Jahre auf. „Gesamt betrachtet, sind sie das beste Team des Turniers“, sagt US-Trainer Steve Kerr.

Sie haben das im Viertelfinale gegen die Letten bewiesen, das sie gerade noch so 81:79 gewannen. Dank „der neuen Generation“, wie Dennis Schröder sie nannte, die beiden Wagner-Brüder Moritz (26) und Franz (22). Sie fingen ihren Kapitän auf, der komplett neben sich stand und selbst dann nicht mit dem Werfen aufhörte, als er schon 20 Mal vorbei gezielt hatte. Sein Eigensinn wie die Tatenlosigkeit seines Trainers waren die unerfreulichen Themen, die es aufzuarbeiten galt.

Basketball-Deutschland neigt gerne zur Hyperventilation in solchen Fällen. Die Akte der Grausamkeit war aber schnell geschlossen. Zumindest vom Bundestrainer. „Du gewinnst mit ihm, du verlierst mit ihm. Er will den Ball, er will die Entscheidung. Er ist Mensch“, sagt Gordon Herbert über Schröder. Das Schicksal hat Herbert vor einer ungemütlichen Situation bewahrt. Was man schnell vergisst: Schröder hatte die Deutschen auf Okinawa, in der Vorrunde, getragen.

Einen „Stinker“ nannte der Coach die Leistung – das passiere jedem Team einmal im Turnier. Die Deutschen, die unerschütterlichen, haben die Kontroverse schnell geschluckt. Dennis Schröder selbst verkündete am Morgen: „Ich habe gut geschlafen.“ Und noch wichtiger: „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Lettland ist vergessen und verarbeitet. Zeit für das nächste Kapitel.

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