Neue alte Kimmich-Rolle

Spezialist statt Big Boss

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Neulich noch, im Disput mit seinem Vereinstrainer Thomas Tuchel, bestand Joshua Kimmich darauf, dass er eine Sechs sei und durchaus eine der Unterkategorie „holding six“. Und dem Selbstverständnis des Bayern-Stars entsprach es auch, als „chipping eight“ oder „set piece ten“ aufzutreten, als Offensivgeist, der den Mitspielern die Bälle in den Lauf löffelt und die Standards ausführt.

Der Plan von Hansi Flick scheint nach der Aufstellung aus einem internen Test gegen die U 20 aber ein anderer zu sein: Joshua Kimmich wird als rechter Verteidiger in der Viererkette spielen. Wie übersetzen wir das? Als „defending two“, die auch mal eine „attacking two“ sein darf.

Man könnte dies als Herabsetzung Kimmichs interpretieren. Weil es nie seine Ursprungsposition war, aber eine, die er zu Beginn seiner Bundesliga- und bald auch Nationalmannschaftskarriere (2015/16) einnahm, weil er sie ordentlich spielte und nach dem Karriereende von Philipp Lahm in beiden Teams dort eine qualitative Leerstelle sichtbar geworden war. Joshua Kimmich sah es als Beweis seiner Weiterentwicklung an, dass er mit den Jahren ins Zentrum des Spiels rückte, wo man Chefambitionen stärker ausleben kann. Das wird ihm im DFB-Team nun genommen. Und das ist ein wenig schmerzlich, weil Kimmich wegen seiner oft protzigen Anführer-Attitüde und seinen häufig missglückenden Ecken und Freistößen viel öffentlichen Spott abbekommt.

Als Profi wird er sich aber zu einer anderen Sichtweise zwingen müssen. Es geht um die Lösung, die die Mannschaft stärkt. Kimmich wäre hinten rechts besser als jeder andere von zahlreichen durchs Testverfahren geschickten Kandidaten, und im Mittelfeld würde das Kompetenzgerangel mit Ilkay Gündogan aufgelöst und Platz für das herausragend kreative Talent Florian Wirtz geschaffen. Und es gibt ja auch ein Vorbild in Sachen Opfergang für die Mannschaft: Philipp Lahm kehrte während der WM 2014 auch zurück von der Mittelfeld-Schaltzentrale auf die rechte Abwehrseite, weil es in der Summe dem Team guttat. Es gewann anschließend gegen Frankreich, Brasilien, Argentinien. Das jetzige Deutschland muss erst einmal Japan besiegen.

Hansi Flick hatte vor zwei Jahren gesagt, Kimmich nach hinten zu ziehen, das schließe er aus. Nun hat sich die Lage verändert, auch für den Bundestrainer. Er muss um seine Zukunft kämpfen und auch dem deutschen Fußball eine Botschaft vermitteln: Dass die Besten nicht alle Big Boss im Mittelfeld sein können, sondern es auch Spezialisten braucht. Für jede Position.

Guenter.Klein@ovb.net

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