Wolfsburg – Der älteste Spieler der Bundesliga ist ein Japaner: Makoto Hasebe von Eintracht Frankfurt. Obwohl sich der 39-Jährige aus der Nationalmannschaft seines Landes 2018 nach 114 Länderspielen verabschiedet hat, ist er immer noch das Musterbeispiel des japanischen Fußballers. Nie lag er mit einem Trainer über Kreuz, wurde sogar von Felix Magath zur gemeinsamen Wolfsburger Zeit hochgeschätzt – und er lebt voller Hingabe für seinen Sport und den Erhalt körperlicher und mentaler Fitness. Sein konkreter Fall: Jeden Abend um 21 Uhr nimmt Makoto Hasebe für 20 Minuten ein Bad in 42 Grad heißem Wasser, und während er in der Wanne liegt, liest er etwas Philosophisches oder Hochliterarisches. Goethes Werk hat er komplett durch.
Hasebe kam 2008 auf Empfehlung des Japan-Kenners Guido Buchwald zum VfL Wolfsburg, zu einer Zeit, als die Bundesliga Spielern aus der J-League noch skeptisch gegenüberstand. Können sie mehr als schnell und ausdauernd zu laufen? Sind sie in der Lage, sich einzustellen auf westliche Kultur? Kriegen sie das mit der Sprache hin? Gibt es auch große Japaner, die Kopfballduelle gewinnen? Und obwohl in den folgenden Jahren Akteure kamen wie Shinji Kagawa zu Borussia Dortmund und Wataru Endo zum VfB Stuttgart, die in ihren deutschen Clubs Integration lebten und zu Führungsspielern wurden, hat sich das Japan-Klischee gehalten. „Eine extrem quirlige Truppe, die viele lauffreudige Spieler hat, die in die Tiefe gehen und eine gute technische Ausbildung genossen haben“, sagt der deutsche Nationalspieler Julian Brandt.
Er könnte weitergehende Kenntnisse haben, denn er hat die 1:2-Niederlage gegen Japan bei der WM in Katar miterlebt. Die Deutschen wurden von diesem Turnier in eine Abwärtsspirale getrieben, für Japan war es eine Erweckung. Es gewann seine Vorrundengruppe vor Spanien und Deutschland, schlug beide großen Nationen 2:1, ließ sich von 0:1-Rückständen nicht unterkriegen. Vor allem der Kampf gegen Spanien war so großartig wie das Spiel zuvor gegen Costa Rica absurd. Die japanischen Angreifer vergaben eine Flut klarster Chancen, während der einzige Schuss des Gegners drin war – 0:1. Es herrschte eine gewisse Aufgebrachtheit im Land, das eine historische Gelegenheit verstreichen sah.
Doch nach dem Coup gegen Spanien war alles anders. Die Journalisten beklatschten Nationaltrainer Hajime Moriyasu, als er zur Pressekonferenz erschien, er verneigte sich. Und ein weiteres Mal, als er den Raum wieder verließ. Was für eine ausgewiesene Höflichkeit. Nach der WM und obwohl sie im Achtelfinale gegen Kroatien leicht enttäuschend endete (im Elfmeterschießen), verlängerte der Verband den Vertrag mit Moriyasu – sonst hatten die Trainer in Japan nach einer WM immer gehen müssen. „Die Spieler haben uns etwas gezeigt, was wir nie zuvor gesehen haben“, erklärte Moriyasu. Er sah „den Start einer neuen Ära“, der Verband pflichtete bei. In der Weltrangliste der FIFA ist Japan als 20. auf fünf Plätze an das (einstige) Vorbild Deutschland herangerückt.
Europa hat Japans Nationalmannschaft stark gemacht. „Da sind etliche Spieler in Führungsrollen hineingewachsen und zu Persönlichkeiten geworden“, sagt Guido Buchwald. Spanien, England, Italien, Portugal, die Bundesliga – die besten Ligen greifen auf „Made in Japan“ zurück. Ein Name im Kader der Spiele gegen Deutschland und am kommenden Dienstag in der Türkei mag überraschen: Daniel Schmidt. So heißt der in Belgien (St. Truidense, trainiert vom Ex-Bayern Thorsten Fink) tätige Torwart, dessen Mutter Japanerin und der Vater Deutschamerikaner ist.
Besonders gute Form wird Kaoru Mitoma nachgesagt, der für Brighton & Hove in der Premier League spielt. Sein Kollege dort: der erstmals vom DFB nominierte Pascal Groß. Er meint über seinen Mitspieler: „Wenn er Geschwindigkeit aufnimmt, ist es schwer, ihn zu stoppen.“ Klingt wieder nach Klischee, doch vielleicht ist es einfach auch die Wahrheit.