Wolfsburg – Es war nicht so, dass Hansi Flick am vorangegangenen Abend vor dem Spiegel Jogi-Löw-Lässigkeitsposen eingeübt hätte. Sein Vorgänger hatte ja die Gabe, Krisen mit seinem speziellen Charme zu relativieren – aber der jetzige Bundestrainer schlug sich ordentlich in seiner Pressekonferenz vor dem Testländerspiel gegen Japan (Samstag, 20.45 Uhr, RTL), über dem die Schwere der Frage liegt, ob er der Richtige ist, um 2024 eine erfolgreiche Heim-Europameisterschaft zu spielen.
Die Woche über in Wolfsburg hatten sich wieder einige gefährliche Themen angesammelt. Jeden Tag tröpfelte ein neuer Ausschnitt aus der Weltmeisterschafts-Dokumentation von Amazon ins Internet, und nichts davon wirkte besonders schmeichelhaft für die Beteiligten. Dann kritisierte Niklas Süle die für Oktober avisierte USA-Reise der Nationalmannschaft, Kai Havertz führte eine schwer nachzuvollziehende schnöselige Klage gegen das Fußball-Desinteresse derer, die doch Fans sein wollen, und schließlich bestimmte noch der merkwürdige Angriff des DFB-Vizepräsidenten Hans-Joachim Watzke auf die längst beschlossene Nachwuchsreform die Nachrichtenlage auch in Wolfsburg. Wie reagierte Flick auf all das?
Freundlich und zugewandt erklärte er, „dass ich seit der WM wenig lese“. Er nehme hin, „dass es bei der Nationalmannschaft immer vieles gibt, was einen umtreibt“. Was die Doku „All or Nothing“ betreffe: Habe er nicht gesehen, „denn a) war ich dabei und b) ist jetzt ein Zeitpunkt, der das nicht zulässt. Der DFB hat Verträge, und die müssen gelebt werden, man muss sie erfüllen, wenn es mal nicht so läuft.“ Und, ach ja, Niki Süle: „Er wird spielen.“ Als quasi Begnadigter nimmt er sofort ein hohes Standing ein – obwohl sie im Juni, als Süle in der Verbannung war, Malick Thiaw vom AC Mailand empfohlen hatte.
Jetzt gilt endgültig: Nicht mehr rumprobieren. „Wir haben uns auf eine Idee und eine Philosophie geeinigt“, vermeldet Flick aus dem Trainerteam. Viererkette mit Joshua Kimmich rechts, ein Mittelfeld, das so besetzt sein wird, damit der DFB-Ilkay Gündogan endlich mal der Manchester-City- oder FC-Barcelona-Ilkay Gündogan sein kann.
„Es ist einiges schon rausgekommen“, weiß Flick; ein interner Test über 3 x 12 Minuten gegen die U 20, der mit einem 5:0 endete, blieb in den Details nicht geheim. Jedenfalls bestärkte er Flick darin, auf einem guten Weg zu sein. „Wir sind zufrieden, wie wir das umgesetzt haben. Wenn man immer untereinander elf gegen elf spielt, ist es schwieriger, weil jeder weiß, was man vorhat.“
Zeichen, wie es unter ihm künftig laufen soll, hat er zur Genüge gesetzt. Joshua Kimmich im Grunde zu degradieren, indem er Ilkay Gündogan zum gleichberechtigten Kapitän erhebt und ihn stärkt, ist mutig, aber nach der Erfolglosigkeit über nunmehr drei Turniere, zwei noch unter Joachim Löw, notwendig. Bei der Nominierung hat er Leon Goretzka und Timo Werner weggelassen. „Es geht im Leben immer darum, was man aus der Vergangenheit lernt“, sagt Flick. Seine Erfahrung aus den vergangenen Monaten dürfte gewesen sein: Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, schwindet das Vertrauen in den, der sie verantwortet. Zum ersten Mal in seiner Trainerlaufbahn hatte Hansi Flick, mit dem alle immer ganz gut leben konnten, weil er geerdet und sympathisch wirkte, schlechte Umfragewerte und ein negatives Image. Flick sagt: „Ich bin dankbar und habe Lust, diese Mannschaft zu betreuen.“
Er muss jetzt gegen Japan aber gewinnen, damit das auch so bleibt.