Manila – Das größte Spiel des deutschen Basketballs endete für alle auf dem Bauch von Andreas Obst. Er lag da einfach, streckte sämtliche Gliedmaßen von sich und schrie. „Ich war überwältigt von dem Moment“, sagte er hinterher. Schockgefrostet waren sie alle, wie sie sich auf Obst stürzten. Kein menschliches Hirn vermag die Größe des Augenblicks zu verarbeiten. Zum ersten Mal zieht das Nationalteam ins Finale einer Weltmeisterschaft ein, schlägt auf dieser Route auch noch die Vereinigten Staaten von Amerika 113:111 im Halbfinale, den Goldstandard dieser Sportart. „Das bedeutet mehr für den deutschen Basketball, das macht einen fast ein bisschen emotional. Es ist einfach geil“, jubilierte Moritz Wagner ins Mikrofon. Und beinahe jeder seiner Kollegen fand danach dieselbe Erklärung für den historischen Triumph: „Weil wir einfach eine spezielle Gruppe sind“, so drückte es Franz Wagner aus.
Diese Nacht von Manila war eine Reise ins Basketball-Nirwana. Bereits nach zehn Minuten waren die Spielwiesen abgesteckt – die USA taten den deutschen mit ihren Künsten im Duell Mann gegen Mann weh. Umgekehrt schlug das DBB-Team mit Spielwitz und erbarmungsloser Physis am Korb zurück. Da droschen zwei Riesen aufeinander ein, beide mit dem Material eines Weltmeisters. Offensiv war’s das höchste Level, auf dem jemals eine Deutsche Nationalmannschaft wandelte – in Anbetracht der Signifikanz der Partie und der Güte des Gegners. Irgendwann gingen einem die Superlative aus für die Szenen, die gefühlt in eineinhalbfacher Geschwindigkeit an einem vorbei flitzten. Dunk hier, Block da, Dreier rechts, Dreier links. Es war ein absurdes Niveau an Basketball mit theatralen Zügen und vor allem ohne Pause. Beinahe jeder Rekord für ein Halbfinale purzelte Viertel für Viertel: Drei Spieler mit 20 Punkten in einer Partie? Gab’s nicht. Zwei Teams über 100 Punkte? Auch nicht. Noch nie fielen so viele Körbe in einem Semifinale.
Was bleibt einem da anderes übrig, als Elogen auf diese Deutschen anzustimmen? Auf Dennis Schröder (neun Vorlagen), den großen Drahtzieher im Aufbau, rein gewaschen von seinem Auftritt des Grauens im Viertelfinale. Das war der andere Schröder, der reife, der mit den NBA-Größen tanzt, weil er einer von ihnen ist. Neben ihm Franz Wagner (22 Punkte), der Star der Zukunft, der gefühlt immer mit einem Feuerschweif im Schlepptau zum Korb flog und der unter all diesen Ausnahmekönnern nochmals eine Etage darüber zu schweben schien. Natürlich Daniel Theis (21 Zähler). In die NBA gekommen als einer der solidesten Malocher Europas. Aber was ist aus diesem Mann geworden nach sechs Jahren auf der größtmöglichen Bühne dieser Sportart? Ein Untier, ein Biest, das die amerikanischen Center kurzerhand verschlang.
Und dann gab es Andreas Obst, 24 Punkte und Top-Scorer. Der eine Verwandlung vollzog, wie man sie nicht gesehen hat. Er mutierte zum Terminator. Bezahlt wird er vornehmlich fürs Werfen, vor allem der Dreier. Er behielt sich seine Fähigkeiten als Scharfschütze der Nation und ergänzte sie um eine weitere Dimensionen. Obst gab den Spielmacher, der traumwandelte als wäre er ein zweiter Schröder. Ihn hatten die Amerikaner nicht auf der Rechnung. Und vor allem hatten sie keine große Lust, mit ihm durch die vielen Blöcke zu jagen, mit denen ihn die Kollegen in Position brachten. Im vierten Viertel kam es soweit, dass die Zuschauer „MVP, MVP, MVP“ skandierten, was man sich normal nur für die Superstars des Planeten vorbehält. MVP, wertvollster Spieler heißt das zu deutsch. „Ich musste ein bissl schmunzeln“, sagt Obst.
Das war dann das passende Stichwort: Denn der, der mit den Deutschen am breitesten grinste, war Svetislav Pesic. Nach eigenen Worten fühlt sich die Trainerlegende, 74 Jahre alt, selbst als Teil des deutschen Basketballs. Er wohnt in Deutschland, trainiert in diesem Turnier aber die Serben. Pesic und seine Landsleute sind die letzten Gegner der Deutschen am Sonntag, 14.40 Uhr. Hört, hört, sogar das ZDF ist eingestiegen. „Ich habe mir dieses Finale gewünscht und es ist so gekommen“, gab Svetislav Pesic zu Protokoll. 1993 hat er Deutschland zum EM-Titel geführt, immer noch die größte Errungenschaft in dieser Sportart. 30 Jahre später ist er wieder beteiligt. Das ist mehr als ein Märchen: Das ist Magie.