Darum ist Flick gescheitert

von Redaktion

Nicht nur die sportliche Kehrtwende, auch im persönlichen Bereich überraschte der Ex-Bundestrainer

VON GÜNTER KLEIN

Wolfsburg/Dortmund – Wolfsburg damals, Wolfsburg diesmal. 2021 stand Hansi Flick in Wolfsburg vor seiner Mannschaft, es war die des FC Bayern, und sagte fast verdruckst und schüchtern, dass er den Verein verlassen werde, die Spieler sollten es zuerst erfahren. Man kann seine Rede in eine Amazon-Doku sehen und hören. Danach ging er vor die Fernsehkameras und erklärte: „Ich will zum DFB.“

2023 endete die Bundestrainer-Zeit von Hansi Flick in – Wolfsburg. Im Hotel Ritz-Carlton wurde ihm von der DFB-Spitze eröffnet, dass man nicht mehr an ihn glaube und er freigestellt sei. 1:4 hatte er gegen Japan verloren. An einem Samstag, an dem sich etwas gegen ihn aufgestaut hatte. Viele schauten in die gerade verfügbare Doku (wieder Amazon, noch eine Parallele) über Katar „All or Nothing“, sie schrieben in den Sozialen Medien: Wie kann Flick noch Bundestrainer sein?

In der Bayern-Doku war er der Gute. Verständig, fröhlich, immer menschlich, der Vater der Spieler. In der Katar-Doku war er dünnhäutig, aufbegehrend. 2020, als er mit den Bayern alle denkbaren Trophäen gewann, sagten die Leute: Ich mag die Bayern nicht, aber Hansi gönn’ ich’s. 2023 trifft ihn die Wut des Volks, die Anklage, er sei unfähig, wie zuvor nur Joachim Löw, als die Leute seiner überdrüssig waren.

Hansi Flick und der DFB schienen das perfekte Match zu sein vor zwei Jahren. Aus seinen Co-Trainer-Jahren (2006 bis 14) stand er für das verblichene Gute der Ära Löw, aber mit den Erfolgen, die ihm in München zugeflogen waren, hatte seine lange unscheinbare Karriere Glanz bekommen. Er war jetzt Vereinserfolgstrainer.

Er spielte seine Position beim DFB aus, trat mit einem neuen und erweiterten Trainerteam an. Bei seiner ersten Maßnahme in Stuttgart-Degerloch durften die Journalisten nahe ran an den Trainingsplatz. „Gegenseitiges Vertrauen“, proklamierte Flick, versprach eine neue Offenheit. Er gewann seine Spiele, Deutschland war trotz der Bürde eines Fehlstarts aus der Löw-Zeit das erste für die WM in Katar qualifizierte Land.

Dann schlichen sich andere Ergebnisse ein: Eine Nations-League-Strecke im Juni 2022 mit vier Spielen, dreimal 1:1. Die Mannschaft war müde. Im September die erste Flick-Niederlage, 0:1 gegen Ungarn. Die Personalentscheidungen wurden verwegener.

Vor Katar schmiss er alles um: Debüt des kantigen Stürmers Niclas Füllkrug, Comeback des einstigen Wunderknaben Mario Götze. Das waren die sportlichen Kehrtwenden. Flick überraschte allerdings auch im persönlichen Bereich: Plötzlich kam ein Buch von ihm auf den Markt, er, der Familiensachen stets diskret behandelt hatte, machte eine (überstandene) Erkrankung seiner Frau öffentlich. Und er, der den Fußball in den Mittelpunkt stellen wollte, sprach wie ein Polit-Aktivist empört über die Zustände in Katar. Hansi Flick, der immer nur er selbst gewesen war, betrieb auf einmal Imagepflege.

Er wollte nicht nur nett sein, sondern Lebenstiefe und Konturen haben. Es wirkte aufgesetzt. In der Katar-Doku schimpft er dann: „Ihr sprecht nur über Politik!“ So zu scheitern, lag außerhalb von Hansi Flicks Vorstellungskraft. Wegen seiner langen Verbindung zum DFB wähnte er sich in Sicherheit; das war sein Heimathafen. Er vertraute nicht nur auf sich, sondern auch auf den Rückhalt aus der Zentrale. Er war gnadenlos fleißig und gewissenhaft.

Dauergast in den Bundesligastadien, stark in der Kommunikation mit den Vereinstrainern – auch mit denen, die keine Nationalspieler für ihn hatten. Er wollte als Trainer Europa- und Weltmeister werden. Es hatte ihn gekränkt, dass er 2020 nicht FIFA-Welttrainer geworden war mit seinen sechs Titeln, sondern Jürgen Klopp nach einem für ihn mittelmäßigen Jahr. Er hat sich als Trainer verzettelt.

Ein Freund schickte ihm vergangene Woche noch ein Zitat des amerikanischen Eishockey-Trainers Herb Brooks, der das „Miracle on Ice“, Olympiagold 1980, vollbracht hatte: „Ich suche nicht die besten, sondern die richtigen Spieler.“

Flicks Mischung stimmte nicht. Es ist seine zweite Entlassung als Trainer. Sie zerstört einen Lebenstraum, sie beendet seinen Aufstieg, so hoch wird er nie wieder kommen. Er fällt weich, sein Vertrag beim DFB war großartig, sein Anwalt ist Christoph Schickhardt.

Aber es wird so sein wie 2006, als Flick nach fünf Jahren in Hoffenheim in der Regionalliga gehen musste. Er schämte sich vor den Menschen in seiner Umgebung, in seinem Wohnort Bammental, gescheitert zu sein. Nun war Flick zum ersten Mal in seinem Leben unbeliebt. Das muss weh tun.

In der Bayern-Doku war er der Gute. Verständig, fröhlich.

Die Entlassung zerstört einen Lebenstraum

Artikel 4 von 11