München – Wenn Christian Winkler, der Sportchef im Red-Bull-Eishockeyreich, die Besonderheit der Mannschaft in München hervorheben will, dann erzählt er gar nicht von den vier Deutschen Meisterschaften, die der EHC seit 2016 gewonnen hat. Winkler ist Mittenwalder, bei ihm ist es keine Verkleidung, wenn er zu feierlichen Anlässen wie Einträgen ins Goldene Buch der Stadt oder Empfang in der Staatskanzlei die Tracht anlegt. Seine aktuelle Zahl des Stolzes ist die 15. „Mia ham 15 Bayern.“ Eigentlich sogar mehr.
„Oana is uns entführt worden bei der Geburt“, sagt er. Der spezielle Fall: Torwart Mathias Niederberger kam in Düsseldorf zur Welt. Er stammt aus einer uralten Tölzer Eishockeyfamilie. aber Vater Andreas oder mundartlicher Anderl Niederberger verbrachte seine besten Jahre im Rheinland.
Die andere bayerische Panne: Patrick Hager, der gepflegtestes Oberbayerisch spricht, und zwar so, dass auch die Nordlichter es ohne Untertitel verstehen, der in der Nähe von Rosenheim wohnt und oft mit der Bayerischen Oberland-Bahn zur Arbeit im Münchner Eisstadion fuhr, ist gebürtig ein Schwabe. Auch hier ist es eine Vater-Geschichte: Anton Hager spielte Eishockey in der 2. Liga – als Patrick geboren wurde, gerade in Stuttgart.
Aber bei 15 Spielern ist das Bayerntum urkundlich verbrieft. Konrad Abeltshauser, Yasin Ehliz, Nikolaus und Thomas Heigl kommen aus Bad Tölz, wo auch der Tegernseer Andreas Eder in der Jugend spielte; Christoph Kolarz, einer der Torhüter, wuchs im nahen Bad Aibling auf. Stark ist die Garmisch-Partenkirchner Fraktion mit Maxi Kastner, Quirin Bader und Daniel Allavena. Dominik Bittner, Weilheimer mit dem TSV Peißenberg als Ausbildungsclub, ist nach längerer Reise durch Deutschland (Mannheim, Wolfsburg) in München gelandet, Markus Eisenschmid deckt als Marktoberdorfer und Ex-Kaufbeurer das Allgäu ab. Und es gibt noch drei Niederbayern: die Landshuter Nico Krämmer und Maxi Daubner aus Deggendorf.
Im deutschen Eishockey ist das durchaus üblich: Man spielt, wo es für die Karriere am förderlichsten ist, und wenn das nicht zuhause geht, dann verbringt man wenigstens den Sommer in der Heimat. Für viele ist es erstrebenswert, in der vertrauten Region dem Beruf nachgehen zu können. Manchmal ist es auch erforderlich: Maxi Daubner etwa hat vier Pferde zu versorgen und fährt daher oft zur Familie nach Deggendorf.
München als Standort für Profi-Eishockey hat ja seine spezielle Geschichte, unter Fans anderer Clubs ist die Akzeptanz vor allem seit Übernahme durch den Getränkekonzern gering. Die Spieler sind Profis und haben naturgemäß eine andere Beziehung zu der Thematik. Für Konrad Abeltshauser fühlt sich München richtig an, „weil ich als Kind ein Trikot der München Barons hatte“. Die gab es von 1999 bis 2002. Dominik Bittner gewann als Bub eine Freikarte in München. Sein Vater hatte in einem Lokalradioquiz die Kapitäne der Teams in Peiting, Riessersee und München benennen können. Der Moderator der Sendung soll sogar Christian Winkler gewesen sein, der bei Radio Oberland arbeitete, ehe er als Eishockey-Manager Karriere machte.
Im neuen Metier richtete Winkler den Blick auf Riessersee, wo er selbst gespielt hatte, und Bad Tölz. Als der EHC München ohne Red Bull wenig Geld hatte, suchte er bei den klassentieferen Clubs aus der Umgebung nach jungem Personal, das bereit war, mit Förderlizenz zu spielen. „In Tölz in der Kabine sind sie alle wie Brüder“, sagte er. Jetzt holt er die Spieler aus Bad Tölz m Nachwuchsalter an die Salzburger Akademie – oder er lässt sie in der Ferne reifen, ehe er zugreift. Ein paar interessante Tölzer sind in der Liga unterwegs: Maxi Kammerer in Köln, Leo Pföderl in Berlin, Leon Hüttl in Ingolstadt – vor allem Verteidiger Hüttl dürfte in den kommenden Jahren zum Objekt Münchner Begierde werden (allerdings läuft der Vertrag bis 2026).
Der Gedanke eines EHC Bayern München hat auch einen Vermarktungshintergrund. Das zurückhaltende Stadtpublikum wird die neue Halle mit 11 000 Plätzen, die zur Saison 24/25 fertig wird, nicht füllen, es braucht Zugpferde fürs Umland. Das war schon die (damals nicht aufgehende) Strategie der Barons, und auch für den EHC hatte sein ehemaliger Geschäftsführer (bis 2013) Claus Gröbner München als Oberzentrum gesehen.
Der Plan ist noch nicht aufgegeben. GÜNTER KLEIN