Schluss mit Tristesse

von Redaktion

Mit Völler gelingt Deutschland die Wende, weitermachen will „Rudi“ nicht

VON GÜNTER KLEIN

Dortmund – Thomas Müller wurde nahezu staatstragend. Das Jahr 2023 sei für die deutsche Sportlandschaft kein ersprießliches gewesen, „wir hatten zwar das Highlight mit den Basketballern am Wochenende, aber die Durststrecke war doch enorm“. Daher wichtig in Zeiten der Leistungs-Tristesse, dass von der meistbeachteten Mannschaft des Landes mal wieder ein Zeichen kam. Ein 2:1-Sieg über Frankreich, den Vizeweltmeister, ein Ensemble aus Repräsentanten der Weltklasse, auch wenn Kylian Mbappé, ihr Bester, wegen Knieproblemen draußen blieb. Egal: Im Stadion war es laut, Publikum und Team fanden zusammen, ein echtes Heimspiel, wie man es sich für die Europameisterschaft 2024 vorstellt. Es keimte der Gedanke; Kann man sie doch noch zurückholen, die verloren geglaubte deutsche Fußball-Herrlichkeit?

Für die gesellschaftspolitische Analyse ist Thomas Müller mit seinen 33 Jahren und der Weit- und Weltsicht am besten geeignet. Er ordnete das Ergebnis, an dem er mit einem fulminanten Frühstart-1:0 (4. Minute) beteiligt war, ein: Der Verlauf der Partie spielte der DFB-Elf in die Karten. „Es gab sicher Spiele, da haben wir schnell das 1:1 gekriegt.“ Eine mögliche Strafstoßentscheidung pro Frankreich blieb aus, „wir hatten nicht Glück, aber auch kein Pech“. Zwar hätten die Franzosen von der 20. bis zur 55. Minute – Müller ist ein gedanklicher Zeitennotierer wie ein Reporter – das Geschehen bestimmt, „aber wir haben sie nur in Räume gelassen, in denen sie uns nicht wehgetan haben“. Und man verfolgte eben den richtigen Ansatz, so Thomas Müller: „Die Herangehensweise war diesmal weniger: Wir sind Deutschland und müssen den Gegner auseinanderspielen. Wir wussten um die Gefährlichkeit der Franzosen und haben uns entsprechend verhalten.“ Es war nichts anderes als ein Spiel auf Ergebnis. Im Zentrum: die Basics. „Manchmal“, sinnierte der vorzügliche Torwart Marc-Andre ter Stegen, „musst du die Einfachheit in Perfektion bekommen statt zu viel zu machen“.

So spielen Mannschaften in der Regel, wenn der berühmte Impuls gesetzt wurde durch einen Trainerwechsel. Viel verändern konnte der Stab um Teamchef für einen Tag Rudi Völler eigentlich nicht, die Vorbereitung war konventionell. Hannes Wolf und Sandro Wagner unternahmen die fachliche Einweisung, Völler war für den Zuspruch zuständig. „Eine unheimliche Präsenz“ bescheinigt ter Stegen dem Spieler-Weltmeister von 1990, „es wurde jetzt aber auch nicht gezaubert“, relativierte Müller. Er lobte die „gute Mischung aus Inhalt und Lockerheit, Sie haben uns Vertrauen gegeben – doch das hatten wir zuvor auch“.

In der 6. Minute besang das Westfalenstadion (in Länderspielbestuhlung nicht ausverkauft) erstmals „Rudi Völler“, später wurde der WM-2002-Hit „Ein Rudi Völler“ gegeben, doch der 63-Jährige räumte das Thema, ob er weitermachen würde, gleich ab. „Meine Meinung ändert sich nichts durch das Ergebnis. Und es ging auch um die Art und Weise, wie wir spielen.“ Insofern: Der als Trainer eingesprungene Sportdirektor hat die Aufgabe erfüllt, das Land nach dem traumatischen Spiel gegen Japan (1:4) in so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu grooven. Mission erfüllt.

Schon am Samstag in Wolfsburg war spürbar: Es gibt noch Fans der Nationalmannschaft, sie wollen sich das Gefühl der Zehnerjahre zurückholen. Die ganze Fangeschichte ist ohnehin ein Lieblingsthema von Müller: „Es wird immer geschrieben, getextet und von uns dann nachgesungen, und es ist ein Käse, den ich nicht mehr hören kann, dass wir die Fans wieder auf unsere Seite ziehen müssen. Wir müssen die Spiele gewinnen, und wenn wir das nicht schaffen, können wir 14 Autogrammstunden und einen Tag der offenen Tür machen, und es wird nichts los sein. Mit Erfolg begeisterst du die Menschen, sie wollen sich und das Land siegen sehen.“

Und sie wollen den alten Müller sehen. Werden sie auch bei der EM. „Thomas ist der ideale Spieler“, sagte Völler, der Trainer, der Sportdirektor bleibt.

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