„Es gibt zu viele Energiefresser“

von Redaktion

Dreispringerin Neele Eckhardt-Noack über die Hürden als Athletin in Deutschland

Bei der EM 2022 in München sprang Neele Eckhardt-Noack auf den vierten Platz, zum Saisonende lag sie weltweit auf Rang neun. 2023 verlief bitter, Kreuzbandriss und somit das WM-Aus im Sommer. Im Interview mit unserer Zeitung spricht die 31-Jährige über die Abstriche, die sie als Sportlerin in Deutschland machen muss und den Abstand zur Weltspitze.

Frau Eckhardt-Noack, wie läuft die Genesung bei Ihnen?

Ich kann noch nicht wieder zu 100 Prozent normal trainieren und bin noch in der Reha-Phase. Der Knochen im Knie sieht noch nicht so gut aus. Man kann sich das so vorstellen, dass bei dem missratenen Sprung Oberschenkel- und Unterschenkelknochen aufeinandergestoßen sind, dadurch gab es eine Knochenprellung. Nach dem sportlich sehr erfolgreichen Jahr 2022 stand bei mir im Januar erst mal das Examen im Vordergrund, ich habe mein Jura-Studium abgeschlossen. In der Saison habe ich mich dann leider beim dritten Wettkampf schon verletzt.

Hat man Angst, dass einem die Konkurrenz während des Ausfalls davonspringt?

Die Qualität in der Breite vorne hat mich bei der WM beeindruckt. Fünf oder sechs sind über 14,80 gesprungen, das ist extrem viel. In Tokio waren es nur drei, das sind Welten, die dazwischen liegen. Eine Finalteilnahme mit 14,13 ist human – aber vorne geht schon richtig die Post ab.

In einem Post auf LinkedIn haben Sie die dürftige Förderung für Sportler in Deutschland angesprochen. Es wirkte so, als läge Ihnen das Thema schon länger auf dem Herzen.

Seit 2017 werde ich durch die Bundeswehr gefördert, dafür bin ich total dankbar. Vorher war ich von BAföG abhängig, das war also schon mal eine riesige Steigerung. Aber ich messe mich ja nicht mit irgendwem in der Freizeit, sondern mit der Weltspitze im Leistungssport. Und da macht man sich als Sportlerin in Deutschland teilweise Gedanken, die sich Konkurrentinnen in dem Ausmaß sicher nicht machen müssen.

Können Sie Beispiele nennen?

Von Verbandsseite aus werde ich zweimal in der Woche physiotherapeutisch versorgt, für eine halbe Stunde. Das ist bei unserer Belastung und unserem Trainingspensum sehr dürftig. Man könnte besser trainieren, wenn man in dem Bereich besser versorgt wäre. Zu Wettkämpfen im Ausland reise ich meistens allein, weil es finanziell nicht zu stemmen ist, dass mein Trainer mich begleitet. Bei internationalen Wettkämpfen bin ich nicht immer, aber oft die einzige Athletin ohne Trainer. Da läuft man dann in einer technischen Disziplin, in der es eigentlich zwingend die Rücksprache mit dem Trainer braucht, allein rum. Das wird dem Leistungssport nicht gerecht. Für die maximal gute Leistung braucht man auch eine maximal gute Infrastruktur. Ich habe heute gelesen, dass Amanal Petros in Vorbereitung auf den Berlin-Marathon 10 000 Euro selbst investiert hat. Das Geld muss man auch erst mal haben. Es steht außer Frage, dass es sehr schwer ist, mit Leistungssport in Deutschland reich zu werden. Aber man muss sich schon über elementare Gedanken machen. Zum Beispiel, ob man sich einen zweiten Chiropraktiker-Termin im Monat leisten kann.

Ist es da also logisch, dass die Medaillen für Deutschland ausbleiben?

Die Weltspitze hat einen richtigen Schritt nach vorne gemacht, und Deutschland ist in einigen Disziplinen stehen geblieben. Mit solchen kleinen Dingen wie dem Chiropraktiker-Termin fängt es an, aber das Problem ist natürlich größer und komplex. Was mich auch schon länger beschäftigt: Bei der Bundeswehr sind Jahresverträge normal. Eine langfristige Planung in Olympia-Zyklen ist aber relativ schwierig, wenn jedes Jahr eine Ungewissheit da ist. Wenn du deine Leistung abrufst, ist alles ok. Wenn nicht, musst du schnell um den Kaderstatus und die Förderung bangen. Es gibt einfach zu viele Energiefresser. Viele Menschen können sich vielleicht nicht vorstellen, wie sehr der Sport den Alltag füllt. Meine Mutter konnte sich das auch nicht vorstellen, bis sie mal eine Woche bei mir eingezogen ist. Es ist kein 9-to-5-Job. Es ist auch nicht „nur“ das Training. Ernährung, Vor- und Nachbereitung, Reisen …

Fehlt Ihnen die Wertschätzung für den Sport?

Die Unterstützung ist da. Die Leute sind schon begeistert vom Leistungssport. Ich habe es letztes Jahr bei der EM in München gespürt, die Massen waren im Stadion, die Stimmung unglaublich schön. Auch die TV-Quoten zeigen, dass Leichtathletik angenommen wird. Die finanzielle Wertschätzung ist etwas anderes. Da hapert es halt deutlich.

Denken Sie sich da nicht manchmal: Wofür mache ich das hier alles?

Für mich ist ganz klar, dass ich das alles nur für mich mache. Weil ich mich für den Sport begeistere und eine riesige Leidenschaft habe. Weil ich wissen will, wie weit ich noch springen kann. Neulich hat meine beste Freundin zu mir gesagt: Hättest du die zehn Jahre in deine Berufsausbildung gesteckt, wäre das finanziell deutlich lukrativer gewesen. Ich mache den Sport nicht, um damit großes Geld zu verdienen. Ich möchte auch ein Vorbild sein und den Weg in den Leistungssport für den Nachwuchs erleichtern.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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